: Mangel an Markanz
■ Eine neue Folge aus unserer Serie „Bürger beobachten das Fernsehen e.V.“
„Good business is the finest art“, meinte einst der Pop-Pole Andy Warhol. Und die erfolgreichste postsozialistische polnische Firma, sie verursachte gerade einen Finanzskandal, nannte sich Art-Business Int.Corp. In letzter Zeit, da die Marktwirtschaft mit dem Zusammenbruch der Planwirtschaft zunehmend ideologisiert wird, stoßen wir auf Bereiche, die praktisch bloß noch nicht genügend profitabilisiert worden sind. Dies passiert uns meistens nachts — übers Fernsehen. Daß einem beim langweiligsten Programm mitunter die besten Ideen kommen, ist bekannt, aber daß die unterschiedlichsten Sendungen alle auf dasselbe hinauslaufen, ist merkwürdig:
— Die Abendschau (SFB) über einen Busfahrer der Linie 129, der mit ein paar äußerst guten Mikrophon- Durchsagen die Fahrgäste so erheiterte, daß sie beim Aussteigen applaudierten: Sollte man nicht den Modus der Auswahlverfahren und der Vertragsgestaltung — wie er heute noch in der Hochkultur, bei Opernintendanten etwa, üblich ist— auch und erst recht auf die Anstellung von Busfahrern übertragen? Und dann auch Namensschilder vorne an den Bussen anbringen? Eventuell mit einem Curriculum Vitae in Stichworten. Das könnte dann so aussehen: „Erwin Petzold, Linie4, Duisburg/ Innendienst, Bayreuth/ Mit der Berliner Fahrsaison 1990 auf dem 184er, Frühdienst, seitdem ständig ausverkauft.“
— Und warum nicht auch regelgerechte Auditions zur Besetzung der Ansagestellen in den U-Bahnhöfen? Wie viele fahren nicht jetzt schon Umwege, um mal wieder den witzigen Schwulen und sein bezauberndes „Zurücktreten“ am Kleistpark zu hören? Oder auch, um das sympathische Miniplie-Gesicht von Sonja an der Prinzenstraße zu sehen? Selbst das barsche Gebrüll von Fascho- Kurt am Hermannplatz (er ist übrigens alter Sozialdemokrat) hat durchaus seine Qualitäten — jedenfalls in einem deutschen U-Bahnhof. Auch dort müßten jedoch Hinweistafeln her: „Hier beschallt Sie...“ Und dann wenigstens die Namen aus dem Stations-Dienstplan. Und in welchen Fremdsprachen wer Auskunft geben kann, erscheint uns auch sinnvoll (Wir in Berlin, Sat.1: Stand der U- Bahnhof-Modernisierung).
— Markt im Dritten, N3: ein Beitrag über die zunehmenden Entmietungen von Rechtsanwälten, Maklern, Beratern etc. in Charlottenburg wegen Wohnraum-Zweckentfremdung. Ein weiterer Beitrag über die Verleihung des Innovationspreises der deutschen Wirtschaft 1991 an IBM — für deren Projekt „Außerbetriebliche Arbeitsstätten: Das Modell könnte die Arbeitswelt ähnlich revolutionieren wie seinerzeit das Fließband in der Fabrik.“ Es wird damit nur eine neue Form von — verkabelter — Heimarbeit angepriesen. Genau das, was bald den ganzen Angestellten der entmieteten Rechtsanwälte und Berater blüht, wenn diese keine geeigneten Ersatz-Büroräume finden. Gleichzeitig machen immer mehr Cafeś auf, die tagsüber oft halb oder ganz leer sind. Statt amerikanischer High-Tech-Pauperisierung scheint uns zur Hebung des Betriebsklimas der betroffenen Kanzleien eine Orientalisierung besser geeignet, das heißt, man sollte einen Großteil der Geschäftsvorgänge in Cafeś verlagern. Eine Abstellkammer für Akten und Fax findet sich, und mancher Gast wird sicher als Mandant gewonnen werden können.
— Schäuble im Heute-Studio (ZDF) und Zwischen Moor und Marsch — Worpswede (ARD): Beiläufig erzählt ein Notar über die dort mies untergebrachten Asylbewerber, in der Mehrzahl aus Äthiopien, und daß nun eine Familie in seiner Villa wohnt. Das ist vielleicht der gute alte Worpsweder Geist noch. Aber flächendeckend sollte man wohl, statt die Asylbewerber mit der bürokratischen Gießkanne über das Land zu streuen, den ganzen Partner- Murks der Gebietskörperschaften mit dem Asyl-„Problem“ verknüpfen: Ostfriesland buhlt zum Beispiel um ein Stück vom Jugoslawien, und Emden partnert Ljubljana (nur mal angenommen). Auf diese Weise käme dann vielleicht wirklich — über einen anfangs einseitigen Austausch, langsam bis hin zur Eröffnung eines Friesen-Grills in Sarajevo — das zustande, was man meist „Kontakt“ nennt. Irgendwann wüßte man dann schon: Kiel — da leben viele Kambodschaner, Augsburg würde wegen seiner Kiewer Küche bekannt werden, und im Rhein-Main-Gebiet ballten sich die Botokusen. Die Grob- Einwanderung würde über die Frage des ersten Wohnsitzes sich regeln lassen, und die Feinabstimmung hätte es mit konkreten Menschen zu tun. Sogar das Enwicklungshilfe- Ministerium könnte man auflösen und die Mittel statt dessen über die Partnerschaften der Städte, Gemeinden und Kreise einsetzen — wobei sie sich ggf. sogar mit deren eigenen Wirtschaftsprojekten sinnvoll verknüpfen ließen. Warum sollten die Vogelsberger zum Beispiel nicht Experten für Erdnüsse werden — weil dorthin die meisten Gambianer auswandern, deren „Gateway to Europe“ merkwürdigerweise gerade dieses oberhessische Mittelgebirge wäre? ABM-Forscher würden die genaueren Gründe dafür sicher herausfinden und eventuell nach verborgenen Mentalitätsähnlichkeiten beziehungsweise -unterschieden fahnden. Auch wäre so mancher Gewerbetreibende — zum Beispiel die Solar-Energiezellen-Firma Richter in Ulrichstein — bestimmt besser im sonnigen Afrika aufgehoben. Andererseits wäre es für die marode Meerholzer Kronkorkenfabrik mindestens von Nutzen zu wissen, daß und wie man in Gambia diese Dinger überall zur Verbesserung der Funktion von Wellblechnägeln weiterverwendet: Alle Dächer sind dort voller Kronkorken. Von der Überlegenheit der gambianischen Hanfpflanzen gegenüber oberhessischen wollen wir gar nicht erst reden.
— Das Auslands-Journal (ZDF) und das Brandenburg-Journal (ORB): ein Beitrag über die Bosporus-Fähren Istanbuls. Statt wie hier penetrante Musiker, kommen dort alle paar Minuten putzmuntere Händler in die Abteile. Manche — der Buntstifthändler kurz vor Schulferienende zum Beispiel — führen ihre Ware mit einer richtigen Performance vor. Andere wiederum richten ihr Angebot nach dem Wetterbericht aus: bei Sonne Spielzeug und T- Shirts, bei schlechtem Wetter Regenschirme. Bars gibt es sowieso an Bord und mehrere verschiedene Backwaren zur Auswahl, gelegentlich auch frischen Fisch. In Brandenburg beklagt man die baldige Einstellung von S-Bahn-Strecken, die immer ungemütlicher und von immer weniger Leuten benutzt werden. Hier fehlen die Bosporus-Fähren- Händler! Denn nicht nur hier gilt: Handel und Wandel initiieren, statt immer mehr Wach- und Schutzdienste mit Maulkorbhunden zum Einsatz zu bringen! Letzteres wird immer teurer, während ersteres Geld einbringt. Es sei denn, man macht es wie Jelzin mit seinem „Handelsdekret“ (Tagesthemen, ARD): Ab sofort ist es jedem Bürger gestattet, ohne Gebühren und Genehmigungen überall dort zu handeln, wo der Verkehr nicht gefährdet wird. Im Falle der Berliner S-Bahnen ist der Verkehr jetzt noch und vor allem durch den Nicht-Handel auf Bahnhöfen und in Zügen gefährdet. Übrigens auch der Zustand der langsam verwahrlosenden Einrichtungen. Nicht nur Birgit Breuel muß zu einer „Kursänderung um 180 Grad“ gezwungen werden (Ulf Fink auf N3), sondern auch die Verkehrsbetriebe und die Reichsbahn. Überhaupt sollten öffentliche Einrichtungen und Plätze rund um die Uhr marktwirtschaftlich genutzt werden.
— Mitunter haben die Neonazis die besten Ideen: Wir bräuchten uns zum Beispiel nur ihrer Forderung nach einer „ausländerfreien“ Olympiade 2000 zu eigen machen, und schon würde das gesamte IOC gegen Berlin votieren (Stadtgespräch zum Thema Olympiade, SFB). Noch inspirierender war Michael Kühnen (Spiegel-TV, Sat.1): „Das Verbrechen des Judentums ist seine doppelte Loyalität.“ — Genau, das ist es! Das brauchen wir heute alle, jeder! Wobei ja genaugenommen auch alle anderen von den Deutschen der Vernichtung Zugetriebenen — Zigeuner, Schwule, Kommunisten und Zeugen Jehovas — sich mindestens einer (!) doppelten Loyalität erfreuten. Metastasi kann man das heute vielleicht nennen. Und das gilt es zu kultivieren! In diesem Fall: Alles erbarmungslos und radikal vermarktwirtschaften (bis hin zu Sexualitäten, Organen, Zellen, Gedanken) bei gleichzeitiger konsequentester Beibehaltung sämtlicher kommunistischer Gemeinheiten. Vilem Flusser („Vom Subjekt zum Projekt“) hält übrigens die Gentechnik für den Beginn der wahren Kunst — weil sie „selbstreproduktive Werke“ ermögliche. Solch Technikbegeisterung liegt uns fern. Aber die doppelte Loyalität — die bringt's! Ein Schwachkopf, wer heute noch, in Deutschland zumal, auf die einfache Loyalität setzt! Selbst bei der Bundeswehr überlegt man sich jetzt schon, wie man mit der Truppe endlich auch mal Geld einspielen könnte, nachdem die Bandenwerbung — mit Tucholsky — so kläglich gescheitert ist (Frontal, 3Sat).
— Holländische Käsewerbung (ARD): Die Spree und alle Kanäle mit (Amsterdamer) Hausbooten belegen, damit die Wasserstraßen wieder nutzen — beleben, die Yacht- Werft sich mit Hausbootsbau sanieren lassen, dem Wohnraummangel abhelfen, leicht abkoppelbare Ver- und Entsorgungs-Anschlüsse erfinden, anbieten. Es wimmelt von Marktnischen! Man darf sich nur nicht gleich in — subventionierte — Kulturzentren abdrängen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen