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„Man kann Polen doch nicht auf das Niveau von Bangladesch drücken“

Jaroslaw Kaczynski ist Senator des Wahlkreises Danzig und Chefredakteur des Gewerkschaftsorgans 'Tygodnik Solidarnosc‘ / Er schlug Walesa als erster als Präsidenten vor  ■ I N T E R V I E W

taz: Die Delegierten des Kongresses stehen vor der Frage, ob Solidarnosc eine reine Gewerkschaft und Arbeitnehmervertretung sein oder sich eventuell ein politisches Standbein in Form einer Partei zulegen soll. Wie sehen Sie das?

Kaczynski: Vor allem sollte Solidarnosc während dieses Kongresses und danach eine Rückkehr in die politische Arena erleben. In den letzten Monaten hat sie sich in eine Art Schmollwinkel zurückgezogen. Da müssen wir raus, im eigenen Interesse und im Interesse des ganzen Landes.

Diese bedingungslose Unterstützung für die Regierung hilft niemandem, auch nicht der Regierung. Und damit der Aufbau einer harten Gewerkschaftsfront zu möglichst niedrigen sozialen und politischen Kosten ermöglicht wird, muß Solidarnosc eine Vertretung im Parlament haben, sowohl im jetzigen als auch in jenem, das wir bald frei wählen werden.

Ministerpräsident Mazowiecki hat ja an diesem Freitag auf dem Kongreß angekündigt, das werde in einem Jahr sein, ich bin eher dafür, das etwas früher zu machen.

Diese Vertretung sollte durch eine Gruppe von Abgeordneten und Senatoren geschehen, die vor allem der Gewerkschaft verantwortlich sind. Das müssen nicht viele sein, aber sie müssen gemeinsam vorgehen, und es muß klar sein, daß das die Vertreter von Solidarnosc sind. Das wäre keine Politisierung der Gewerkschaft, sondern eine Art Lobby.

Walesa hat ja erklärt, seine Kandidatur diene vor allem dem Zweck, die Regierung vorwärts zu treiben. Eine Gewerkschaft, die so vorgeht, ist doch eindeutig politisch.

Walesas Rolle geht über die Gewerkschaft hinaus. Er wird auf diesem Kongreß wieder zum Vorsitzenden gewählt und sollte seine Kraft erst einmal dafür einsetzen, daß sich die Rückkehr von Solidarnosc in die politische Arena geordnet abspielt, ohne Spaltungen und Brüche. Aber seine weitere Rolle ist meiner Meinung nach die des Präsidenten. Doch das ist nur meine persönliche Meinung, ich spreche nur im eigenen Namen...

Das nimmt Ihnen kaum jemand ab...

Mag sein. Ich sehe Walesa als Präsidenten, das heißt als jemanden, der sich aus der Tagespolitik heraushält - das ist die Aufgabe des Premiers -, der aber dieser Demokratiebewegung, dieser Unabhängigkeitsbewegung in Polen mehr Entschlossenheit gibt und sie beschleunigt.

Aber dann wäre Walesa nicht mehr Gewerkschaftschef.

Natürlich. Worauf ich hinauswill: Die Rede von Mazowiecki hier war sehr gut, aber mit dem Schluß bin ich nicht einverstanden. Wir müssen festen Grund unter den Füßen haben, aber dieser Grund hat sich in den letzten sechs Monaten sehr gefestigt, wir können jetzt schneller vorwärtsgehen.

Mir scheint, die Gefahr, die sich aus dem Zögern ergibt, ist im Moment größer als die, die sich aus zu schnellem Handeln ergibt. Und ein Element einer solchen Beschleunigung wäre die Wahl Walesas zum Präsidenten, das würde in den Augen der Gesellschaft ein klares Signal geben, daß wir uns nicht auf der Stelle bewegen.

Aber das ist eine politische Kritik. Am heftigsten wird die Regierung ja mit wirtschaftlichen Argumenten angegriffen.

Waren die sozialen Kosten der Reform wirklich unvermeidlich, oder wäre es nicht auch ein bißchen weniger hart gegangen? War es wirklich notwendig, die Realeinkommen um über 40 Prozent zu senken? Am Anfang sind wir von 20 Prozent ausgegangen. Niemand kann das wirklich beantworten. Das ist das eine.

Das andere ist: Wenn sich die Gewerkschaft nicht dagegen wehrt, wird die ganze Umstellung der Wirtschaft zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, denn für die Fabrikdirektoren ist es natürlich am leichtesten, erst mal Leute zu entlassen oder Kurzarbeit einzuführen.

Und daher ist eine härtere Haltung von Solidarnosc auch im Interesse aller anderen: Sie zwingt dazu, auch andere Einsparungsmöglichkeiten - beim Energieverbrauch, bei der Arbeitsorganisation, beim Produktionsprofil - zu erschließen. Man kann Polen doch nicht auf das Niveau von Bangladesch herunterdrücken.

1985 war einer der Hauptpunkte des Solidarnosc-Programmes die sogenannte selbstverwaltete Republik. Heute wird - zum Beispiel im Programmentwurf - versucht, die Selbstverwaltung auf die kommunale Selbstverwaltung zu reduzieren. Von der Arbeiterselbstverwaltung ist dabei keine Rede mehr, obwohl die Regierung gerade auch dafür kritisiert wird, daß sie die Betriebsräte abzuschaffen versucht.

Das Stichwort von der selbstverwalteten Republik muß man auch unter den spezifischen Bedingungen betrachten, in denen es entstanden ist. 1981 hätten wir schlecht das Programm für eine unabhängige demokratische Republik aufstellen können, ohne den Kommunisten offen den Krieg zu erklären.

Aber die kommunale Selbstverwaltung war natürlich nicht alles - inzwischen haben wir die Selbstverwaltung in der Universität, im Gesundheitswesen, im Justizapparat usw.

Sind es vor allem die linken Kräfte, die heute für eine Beteiligung der Arbeiter am Kapital der Betriebe eintreten?

So würde ich das nicht nennen, auch Teile der Rechten unterstützen die Idee, den Arbeitnehmern größere Teile des Betriebskapitals zu überlassen.

Wird dieser Kongreß zum Sprungbrett Walesas für das Präsidentenamt?

Ich würde das nicht miteinander in Zusammenhang bringen. Ich möchte, daß Walesa Vorsitzender wird, um die Gewerkschaft wieder zurück auf die politische Bühne zu führen.

Und dem würde am besten die bisherige sogenannte Danziger Führung dienen, weil sie die größte Erfahrung hat und den ganzen Rest einfach überragt.

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