: Man faxt sich Mordpläne
■ Nicht vorbildlich, doch um so beliebter: „Fallen Angels“ von Wang Kar-wai („kommerziell, aber modern“) im Forum
Jahr für Jahr ist die Nachtschiene des Forums mit begeisterten Asiaten gefüllt. Sie feuern ihre schwertkämpfenden Helden an, kichern bei ungeschickten Liebesszenen und betrauern jeden Burschen, der edelmütig stirbt. Man selbst schaut dem Treiben auf der Leinwand eher ungläubig zu, staunt über fliegende Mönche, runzelt bei Polizisten in Frauenkleidern die Stirn und hält sich mit der Kritik bedeckt. Erst später heißt es dann Hongkong-Trash, und man lacht über den prolligen Kult der totalen Action.
Einer der wenigen Filmemacher, die Hongkongs Kino gerade wegen des ganzen Handlungschaos um Menschen auf der Schwebe zum Special Effect lieben, ist Quentin Tarantino. Auch bei ihm sind die Wände dünn, die das Ornament der Stile von den Seifenblasen des Entertainment trennen. Sein Favorit heißt Wong Kar-Wai, ein „kommerzieller, aber moderner Regisseur“, wie Ulrich Gregor zur Einführung mehr als Beschwichtigung meinte. Wong kommt zwar ohne Kung Fu aus, aber sein Personal weicht kaum von den Klischees des Eastern, es ist bloß zeitgemäßer: Huren, Zocker, Punks und Killer. Sobald sie einander begegnen, rotieren die Bilder genauso wie unter dem Bannzauber der Martial Arts.
Schon auf der letzten Berlinale lief Wongs „Chungking Express“, dessen durcheinandergewürfelter Plot aus Noir-Stories sich mit der Zeit auflöste wie ein Satz ausgeschütteter Mikadostäbchen. In „Fallen Angels“ streunen ebenfalls zwei Geschichten durch das Hongkong der Bars und Rotlichtbezirke, die sich von Schnitt zu Schnitt nur im Ungefähren berühren. Ming (Leon Lai Ming) muß Schutzgelder aus dem illegalen Glücksspiel eintreiben, manchmal erschießt er auch ganze Pokerrunden. Er hat eine Assistentin, die sich um seine Aufträge kümmert und ihn im Verborgenen liebt. Ansonsten geht es eher autistisch zu, wenn nicht geschossen wird. Man faxt sich Telefonkritzeleien und neue Mordpläne. Die Kamera beläßt es dabei, einfach im raschen Wechsel über ihre regungslosen Gesichter zu filmen, während die beiden ins Off murmeln. Die Flüchtigkeit ist das Ziel.
Selbst wenn sie miteinander trinken gehen, bleibt es bei verstockten Andeutungen. Nur ein gemeinsames Lied in der Juke-Box erzählt von ihrer verzweifelten Lage: „Vergiß es“. Später liegt sie heimlich auf seiner Couch und masturbiert unter Tränen, während er einsam in Straßenbahnen hockt und sich von frisch vermählten Versicherungsmaklern erzählen lassen muß, was Glück bedeutet.
Auch der stumme Charlie schleppt sich so durchs Leben. Nachts steigt er in fremde Läden und verhökert dann die Waren; oder er zwingt den Leuten seine Dienste als Masseur auf. Außer einem Vater hat er keine Menschenseele, und auch der Alte redet nur wunderliches Zeug. Das Mädchen, in das Charlie verliebt ist, läßt sich von ihm ein bißchen mit dem Motorrad durch die Gegend fahren, sucht aber einen ganz anderen.
Wieder allein besorgt sich der Junge eine Videokamera und filmt den Vater, der jedoch nur noch wenige Aufnahmen zu leben hat. In solchen Anhäufungen von frozen moments spiegelt sich wider, was Wong Isolation nennt. Das mag nicht vorbildlich sein, doch die Asiaten mögen es trotzdem. Sie kichern, trauern und genießen an der richtigen Stelle mit. Der Rest grübelt über unverbundenen Symptomen. Harald Fricke
„Fallen Angels“, Hongkong 1995, 96 Min., Regie: Wong Kar-wai
Heute, 22.15 Uhr in der Akademie der Künste
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