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Maler als Modell

Zwischen plumper Imitation und vielschichtiger Studie: Das Alabama zeigt eine Reihe mit Künstlerporträts  ■ Von Birgit Glombitza

Nur noch ein paar Meter Film, nur ein paar Sekunden. Dann muß er fertig sein. „Kein Problem, das schaffe ich“, nuschelt Picasso mit dicker Zigarre im Mund und verschwindet wieder hinter seiner Spezialleinwand, die jeden Tuschestrich direkt auf das Kameraobjektiv zu fixieren scheint. Aus einer Vase wird eine Frau, aus einer Tapete eine Vase, aus einem Knäuel ein Stier. Bildergeschichten voller Verwandlung. Kraftvoll, präzise und so rasant, weil der Schnitt alle Bedenkzeit dem Bilderfluß anpaßt. Henri-Georges Clouzot, der durch seine Kriminalfilme bekannt wurde, strahlt. Alles im Kasten. Picasso nickt lässig wie ein souveräner Sprinter und gönnt sich noch einen Rioja.

Le Mystere Picasso, so der Originaltitel des 1956 gedrehten Films, ist nicht nur ein waghalsiger Versuch, Picassos Malerei unmittelbar darzustellen, sondern zugleich eine brillante Studie über den Schaffensprozeß der Filmbilder selbst. Der Verlust der Aura und die serielle Reproduzierbarkeit des Kunstwerks ist hier eine unhinterfragbare Voraussetzung für alle Beteiligten.

Der Maler, Musiker, Dichter oder Denker als Modell vor der Kamera – das gerät schnell zum Tusch auf das arme Genie und auf die Nostalgie des Originals. In konventionellen Kunst- und Künstlerfilmen muß sich das Kino gewaltig aufplustern, um mit der Einzigartigkeit eines Kunststücks um die Wette zu strahlen. Ob es Skulpturen in die Flächigkeit walzt oder die Biographie des Künstlers und sein Ouvre in die Logik eines Erzählfadens zwingt. Schnell stolpert es in plumpe Imitationen, gerät zur kunstgewerblichen Auslage oder baut Altäre auf den Schöpfergeist schlechthin.

Selbst Brian Gilbert liefert mit seinem Oscar Wilde von 1997 einen plüschigen Kostümfilm, der vor lauter Verehrung den Dandydichter zum edelmütigen Riesen mit gebrochenem Herzen verkommen läßt. Hier ein bißchen zarte Erregung, dort ein Sturm in der Teetasse und irgendwo ein Wilde, der ein Bonmot an das andere reiht, als diktiere er seinen Biographen direkt in die Feder.

Kunst und Künstler – es gibt kaum ein Sujet, bei dem der Film so ungelenk daherkommt und in dem doch zugleich die größten Chancen zu einer Grenzüberschreitung zwischen den Medien liegen. Einige der gelungensten Grenzgänger zeigt zur Zeit das Alabama auf Kampnagel in seiner siebenteiligen Reihe „Kunst und Künstler“.

Einer der Höhepunkte der Reihe ist sicherlich Francois Girards 32 Variationen über Glenn Gould. Gerade Gould, der bereits 1964 sein letztes Konzert gab – als Reaktion auf die Medialisierung der Musik und auf den Tonträger als Verrat an seinem Talent –, spiegelt in seiner Person zugleich das Dilemma als auch die ungeheure Potenz, die aus dem Zusammenprall alter und neuer Medien erwächst. Und wenn er in einem Selbstinterview angibt, „ich bin ein Mann der Medien, der in seiner Freizeit Klavier spielt“, dokumentiert diese Zurückweisung eines öffentlichen Images den Versuch, unter den Bedingungen der Moderne eine moderne Künstlerexistenz zu führen. Gould beginnt zu schreiben, und er komponiert Hörspiele aus aufgefangenen Gesprächsfetzen in Imbißbuden und Bars. Seine Arbeitsweise, sein Privatleben bleibt bei Francois Girard dem Experimentellen und Vorläufigen verpflichtet. So werden auch die Goldberg-Variationen mal als akustische und optische Schwingung zweier Tonspuren oder als Panorama aus dem Innenleben eines Flügels zum filmischen Spielfeld. Den einen, den wahren Glenn Gould gibt es hier nicht. Und in dem Kapitel „Gould as Hypochonder“ erscheint der Tablettensüchtige in Röntgenbildern gar als klimperndes Knochenmännchen mit heftig pumpender Lunge und entzündeten Sehnen.

Auch Derek Jarman setzte bei seinem vorbildlichen Wittgenstein-Film aus dem Jahr 1993, der bereits gelaufen ist, statt auf eine verbindliche Repräsentation des Denkakrobaten ganz auf die Ästhetik der Oberfläche und den Mehrwert des Pars pro toto. Der erste Weltkrieg – dafür reicht ein Maschinengewehr, mit dem Ludwig recht trottelig hantiert; für Cambridge ein Briefkasten, vor dem ein grüner Marsmensch mit Fragen zu Sein und Schein jongliert; und für das bürgerliche Wien und die durch drei Selbstmorde tragisch verkleinerte Wittgenstein-Familie ein Flügel, um den sich die Überlebenden plazieren. Es gibt keinen Vordergrund, keine Tiefe. Nur farbig leuchtende Szenen in einem schwarzen Guckkasten. Der Philosoph, der in seinem Tractatus logico-philosophicus 1921 vollmundig verkündete, alle Probleme „im wesentlichen endgültig gelöst zu haben“, scheint für Jarmans Filmbühne selbst die Formel zu liefern. Denn, so Wittgenstein, den Raum könne man leer denken, „nicht aber die Dinge ohne den Raum“. Bei Jarman ist Wittgenstein mal ein 12jähriger Brillenträger, dem der bildungsbürgerliche Kanon seiner Eltern zum unerträglichen Geschrei loser Bedeutungen wird, mal ein wehleidiger Choleriker, den die unsortierte Welt aus der Fassung bringt. Immer aber bleibt Jarmans Philosophenmodell eine bizarre und unnahbare Denkmaschine. Und Wittgenstein eine filmische Skizze, die sich die pluralistischen Möglichkeiten des Kinos zurückerobert hat.

Picasso: Do, 13., 22.30 Uhr; Sa, 15., 22.30 Uhr; So, 16. 20.15 Uhr + 22.30 Uhr; Mo, 17. August, 22.30 Uhr. Max Ernst: Fr, 14., 22.30 Uhr; Di, 18., 22.30 Uhr; Mi, 19. August, 22.30 Uhr. Caspar David Friedrich: Do, 20., 22.30 Uhr; Fr, 21., 20.15 Uhr; Mo, 24., 22.30 Uhr; Di, 25., 22.30 Uhr; Mi, 26. August, 22.30 Uhr. Basquiat: Fr, 21., 22.30 Uhr; Sa, 22., 22.30 Uhr; So, 23. August, 22.30 Uhr. 32 Variationen über Glenn Gould: Do, 27., 22.30 Uhr; So, 30. August, 20.15 Uhr + 22.30 Uhr

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