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Majestät und der Ärger mit dem Häufchen

■ Das Märchen vom König mit dem Roten Schal und dem Seltsamen Häuflein

GLOSSE

Berlin. Es war einmal ein König in einem etwas abgelegenen Lande, der wollte ursprünglich gar nicht König werden. Er selbst war zwar nicht zufrieden mit seinem Vorgänger, der ziemlich blaß war und eine Menge Steuergelder für unnütze Dinge verschwendete. Völlig überraschend wuchs nun eines Tages die Zahl derer, die mit dem alten König nicht mehr glücklich waren und etwas ganz Neues ausprobieren wollten. Der neue König fühlte sich etwas überrumpelt, war er doch noch gar nicht bereit, den Thron zu besteigen, aber er fügte sich schließlich in den Willen seines Volkes.

Leicht fiel ihm das nicht, denn er mußte mit einem Häuflein merkwürdiger Gesellen zusammenarbeiten. Dieses Häuflein, das meistens recht ungepflegt gekleidet war und seltsame Ansichten über die Rechte eines Königs hatte, tat sich schwer mit dem Regieren, denn es war das erste Mal, daß es überhaupt in diese Lage kam. Aber wie es so geht, man raufte sich schließlich zusammen und freute sich am Schluß riesig über die neuen Möglichkeiten. Für die neue Zeit waren auch rasch zwei Zauberworte gefunden: Multikulturell sollte das Königreich werden und dazu noch ökologisch umgebaut! Der König war von Anfang an recht liberal und volkstümlich, und das kam gut an bei den Untertanen. Gleichzeitig war er auch sehr modern, denn er berief acht Vasallinnen in seine Regierung.

Doch bald fingen die Schwierigkeiten auch schon an, wie die eher altmodischen Genossen es befürchtet hatten. Denn die Vertreter des Seltsamen Häufleins erwiesen sich als sehr eigenwillig und unberechenbar, und so richtig regieren ließ sich mit denen nur schwer. Das Seltsame Häuflein mußte bei jeder Entscheidung auch noch ausdrücklich sein gesamtes Fußvolk fragen, ob es den König noch leiden mochte, und das war für die anderen schon eine harte Geduldsprobe.

Eines Nachts passierte etwas ganz und gar Unerwartetes: Das Königreich war früher einmal viel größer gewesen, aber das war schon sehr, sehr lange her. Die andere Hälfte fiel nach einem langen Krieg an die Bösen Könige des Ostens, und damit niemand von ihren Untertanen sah, wie schön es in der anderen Hälfte war, mauerten sie sie ein. In einer Nacht im November kamen sie alle herüber, und die Menschen waren außer Rand und Band, sich nach so langer Zeit wiederzusehen. Der König war darüber auch ganz aufgeregt und lief die ganze Nacht mit einem alten Regenmantel und einem roten Schal durch die Stadt. Er sprach überall mit den Menschen und wurde deswegen sehr beliebt, obwohl er eigentlich kein schöner König war.

Der König mit dem Roten Schal hatte es jetzt noch schwerer mit dem Seltsamen Häuflein. Dieses war erst sehr unglücklich darüber, daß das andere Land keine eigenen Könige haben sollte. Außerdem nahm es von Anfang an die Zauberworte sehr ernst und bekam jetzt den Eindruck, daß der König vielleicht ein wenig geschwindelt hatte, was die Umsetzung anging. Die Streitereien wurden immer heftiger, und viele der Untertanen fragten sich, ob sie bald schon wieder einen neuen König haben würden.

Der König mit dem Roten Schal hatte mittlerweile Geschmack am Regieren gefunden und wurde zu einem richtigen König. Entscheidungen traf er mehr und mehr allein oder in einem Kreise enger Berater, die ihn ständig umgaben. Obwohl er sich nach außen jetzt schon sehr staatsmännisch gab, plagten ihn und seine Berater schreckliche Ängste, die jeden Tag aufs neue wiederkehrten. Schon beim Frühstück studierten sie die Gerüchte, die aus dem Reich des Bösen Zaren mit der großen Druckerpresse über sie verbreitet wurden. Der Böse Zar lebte zwar selber nicht mehr, aber seine Macht auf die Untertanen war immer noch geradezu teuflisch. Der König konnte nachts oft nicht schlafen, weil er sich davor fürchtete, daß etwas Schlechtes über ihn verbreitet würde. Außerdem hatte er Angst vor seinem eigenen Zauberworten. Seit der Nacht der gesprengten Mauern kamen sehr viele Menschen aus den armen Reichen des Ostens in das kleine Königreich, um dort die Schätze des Westens zu bestaunen. Der König fürchtete sich davor, daß es noch mehr werden könnten, und bemühte sich deswegen im verborgenen darum, daß die armen Nachbarn nicht in das Königreich kommen konnten.

In der anderen Hälfte des Königreiches ging währenddessen alles drunter und drüber. Zwar gab es auch dort so etwas wie einen neuen König, aber der war in Wirklichkeit nur der Statthalter des Königs mit dem Roten Schal. Da er noch etwas unerfahren war mit dem Regieren, war er ganz froh über die Hilfe, obwohl er sich manchmal wie ein dummer Junge vorkam. Der König mit dem Roten Schal schickte ihm viele Berater, die alles für den Tag vorbereiten sollten, an dem das Königreich wieder zusammenwachsen würde. Eines war natürlich klar: Er wollte selber König des ganzen Königreiches werden. Deswegen kümmerte er sich auch nicht mehr so um das Seltsame Häuflein, das ihm immer lästiger wurde. Das Ärgerliche war, daß er es noch brauchte. Zwar hätte er auch mit seinem ungeliebten Vorgänger zusammenarbeiten können, da er diesen aber nicht leiden konnte, versuchte er es lieber noch mit dem Seltsamen Häuflein. In manchen langen Nächten malten sich der König und seine engen Berater aus, wie es wohl wäre, wenn man das Seltsame Häuflein endlich loswerden könnte, aber leider war das nicht so einfach. Schließlich sollten die Untertanen nicht glauben, daß der König an einer Trennung schuld sei, denn das hätten sie ihm vielleicht übelgenommen und sich dann für einen anderen König entschieden.

Eines Tages kam es aber zu einem großen Streit. Der König war besorgt über die Zukunft seines Landes, denn es war insgesamt eher arm und brauchte in Zukunft viel Geld. Schon vor der Nacht der gesprengten Mauern hatte er geheime Verhandlungen mit einem Freund aufgenommen, der auch aus dem Königreich stammte und dessen Vor-Vor-Vor...-König gewesen war in den schrecklichen Zeiten, als das Königreich geteilt wurde. Dieser Freund hatte ein wenig Heimweh und versprach dem König, einen Teil seiner Gefolgsleute in das Königreich zu schicken und dort Land zu kaufen. Die sollten darauf prachtvolle Paläste errichten und viel Geld mitbringen. Der König war davon ganz begeistert und verschenkte das Land fast, nur damit der alte Freund auch wirklich seine Leute schickte. Das Seltsame Häuflein und eine seiner Vasallinnen war damit gar nicht einverstanden, denn man fand, daß der König viel zu großzügig gewesen sei. Außerdem hatte man eine bessere Idee, was man mit dem Platz machen wollte. Da das Seltsame Häuflein partout nicht zum Schweigen zu bringen war, rieten die Berater des Königs, die widerspenstige Vasallin zu entmachten. Darüber waren aber auch viele der Anhänger des Königs sehr erbost, denn sie mochten die Vasallin leiden und fanden den König oft zu eigenmächtig. Außerdem war die Vasallin sehr tüchtig und angesehen. Der König setzte sich natürlich durch - wofür war er denn König

-und gab seinem alten Freund das Land. Das Seltsame Häuflein war darüber empört, denn schließlich wollte man doch auch noch ein Wörtchen mitreden beim Regieren. Andererseits hatte es große Angst davor, dem König jetzt die Freundschaft zu kündigen und ihn mit dem Regieren allein zu lassen, denn dann würde es so schnell nicht mehr mit irgend jemandem regieren können, und so schlecht war diese Beschäftigung ja auch nicht. So ging das Gezänk weiter, und wenn sie nicht gestorben sind, so ist der König mit dem Roten Schal heute König im Roten Palast.

Kordula Doerfler

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