: Märchenstunde der Autobauer
■ Automobilausstellung AAA 86 in Berlin eröffnet / 16 noch mehr PS und schnellen Wagen / Daimler–Manager poliert das Image der umweltbewußten Autoindustrie
Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Die deutsche Autoindustrie sonnt sich im neuen Super–Boom. 1986 wird das Jahr der Rekorde. Bis einschließlich September hat die Branche ein Verkaufsplus von traumhaften 16 % zu verzeichnen bei 2,7 Millionen neuzugelassener PKWs. Auch im Exportgeschäft hat die währungsbedingte Marktverschlechterung durch die Dollar–Talfahrt den deutschen Autobauern wenig ausgemacht. Das Exportvolumen wird zum Jahresende mit 2,55 Millionen Autos auf dem fast gleichen Niveau des Vorjahres bleiben. Unter dem Strich steht so ein Export–Überschuß von 60 Milliarden DM. Diese Zahlen präsentierte gestern der PR–Chef von Daimler– Benz, Bernd Gottschalk, zur Eröffnung der Automobilausstellung Avus, Autos, Attraktionen (AAA) in Berlin, der einzigen großen Autoschau dieses Jahres in der BRD. Der Jubel über den gelungenen „Jahrgang 86“ hielt sich dennoch in Grenzen. Für die Autoindustrie sind Rekorde und Produktionssteigerungen fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden: Auch langfristig setzt die Branche auf ungebremstes Wachstum. Im Jahre 2.000 sollen sich auf bundesdeutschen Straßen 30 Millionen Autos gegenüber derzeit noch 26 Millionen tummeln. Aber keine Angst: Das Auto werde dann noch umweltfreundlicher, leiser, sparsamer, abgasärmer usw. sein. Vollends zur Märchenstunde geriet Gottschalks Messe–Eröffnung, als er von der innovativen Kraft der Autoindustrie schwärmte und deren Anstrengungen zur Reduzierung der Luft– Gifte herausstellte. Bis zum Jahresende 86 werde die Autoindustrie dank abgasarmer Techniken „das Zwölffache, ich wiederhole das Zwölffache der Menge an Stickoxiden reduziert haben, als es durch ein Tempolimit möglich gewesen wäre“. Da selbst der TÜV in seinem skandalösen Großversuch noch auf jährlich 32.000 Tonnen Emissionseinsparung durch das Tempolimit kam, wären demnach laut Daimler–Rechnung 384.000 Tonnen durch abgasarme Techniken eingespart worden. Das wäre mehr als ein Drittel der gesamten Emissionsmenge. Tatsache ist: die durch Verkehr verursachten Emissionen werden in diesem Jahr wegen der stark gestiegenen Neuzulassungen, wegen des Trends zu höheren Geschwindigkeiten und mehr gefahrener Kilometer weiter zunehmen und laut IFEU–Gutachten um zwei Prozent über denen des Vorjahres liegen. Der anhaltende Schadstoff– Ausstoß, die erstmals wieder steigende Zahl der Verkehrstoten und die fortgesetzte Entnadelung deutscher Forste werden indes den Erfolg der AAA 86 nicht beeinträchtigen. Denn hier gilt: schneller, höher, weiter! das heißt mehr als 120.000 Besucher für die Woche vom 11.–19. Oktober, 122 Aussteller 26.276 qm Ausstellungsfläche und ein klarer Trend zu PS–stärkeren und vor allem schnelleren Autos.
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