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Männer nehmen die Sorge kaum wahr -betr.: "Den Vätern das Recht, den Müttern die Sorge", taz vom 20.6.1996 und Leserbrief vom 27.6.1996

Betr.: „Den Vätern das Recht, den Müttern die Sorge“, taz vom 20.6. und Leserbrief vom 27.6.

Sehr geehrter Herr Wiedermann, Sie stellen so richtig fest, daß Kinder die Scheidung ihrer Eltern um so schneller und störungsfreier verarbeiten, je besser sich ihre Eltern abstimmen und kooperieren. Die große Frage ist doch, ob dieses Ziel mit dem Mittel „gemeinsamer elterlicher Sorge als gesetzlich vorgesehener Regelfall nach der Scheidung“ erreicht werden kann.

Auch ich, die ich als juristische Mediatorin (=neutrale Vermittlerin) die Paare in Trennungs- und Scheidungssituationen ausdrücklich ermutige, ihre Elternverantwortung wahrzunehmen, bin keine Verfechterin der gemeinsamen Sorge als gesetzlicher Regelfall. Ich bin für klare Regelungen, die den Realitäten – vorhandenen oder zukünftig gewünschten – entsprechen. Ich bin für Regelungen, die beruhigen, stabilisieren, Sicherheit bieten für einen neuen Anfang in einem neuen Lebensabschnitt. Dieser neue Lebensabschnitt mag von den Vätern durchaus genutzt werden, um intensiveren Kontakt zu den Kindern zu suchen, sie zu besuchen, ihnen zu schreiben, zu telefonieren, zu spielen, kurz: zu sorgen, auf Elternabenden, bei Krankheit des Kindes, am Wickeltisch und während der Nächte. Sollen sie das! Endlich sollen sie das! Nur – sie tun es zu selten.

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen: Männer nehmen die Sorge nicht oder kaum wahr – auch wenn sie ab und zu mal den Kinderwagen schieben. Durchschnittlich 50 Minuten pro Tag verbringen Männer mit Haushalt und Kindern. Frauen – auch die berufstätigen – erledigen, organisieren die Betreuung vor und nach der Scheidung. Das Leitbild des Zahlvaters – sagen Sie – stimme nicht mehr. Es hat noch nie gestimmt – sage ich –, sonst hätten die Familiengerichte und Gerichtsvollzieher nicht in unzähligen Fällen mit zahlungsunwilligen Vätern und Ehemännern zu tun.

Die gemeinsame Sorge als Regelfall nach der Scheidung wird mehr Einmischung, mehr Streit, mehr Unsicherheit, mehr Gerichtsverfahren zum Nachteil der betroffenen Kinder bringen. Nicht das, was sich idealisierende liberale PolitikerInnen denken und schon gar nicht das, was breite Schichten der Mütter sich wünschen, wird Ergebnis dieses Gesetzes sein: den Vätern mehr Betreuung, Verantwortung und Sorge für ihren Nachwuchs. Ziel und Mittel stehen bei dieser Gesetzesnovellierung im eklatanten Mißverhältnis. Dieses Gesetz ist kein Fortschritt, sondern ein Schritt vorbei!

Monika Hartges, Juristin, Mediatorin

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