: Männer hört die Signale
■ betr.: „Wer hat Angst vorm Zwei ten Arbeitsmarkt“ von Helmut Schütte, taz vom 6.10.93
[...] 1. Bei Erwähnung des „Hochlohnlandes Bundesrepublik“, dessen „Lohnnebenkosten die deutschen Unternehmer im internationalen Wettbewerb schwächen“ und gar zu einer „Zersetzung der Grundlagen des Sozialstaates beitragen“, wird gern ausgeblendet: Ausschlaggebend in der Internationalen Konkurrenz ist nicht die absolute Lohnhöhe, sondern die anteiligen Lohnstückkosten (Lohnanteil an den Produktionskosten pro Stück), die Produktivität (Ausbringung pro Arbeitsstunden) sowie der Außenwert der D-Mark (Währungsverhältnisse). In den Lohnstückkosten sind Lohnhöhe, Lohnnebenkosten und Arbeitszeitverkürzungen schon enthalten. Beides – die Lohnstückkosten ebenso wie die Produktivität der Bundesrepublik – kann sich im internationalen Vergleich nicht nur sehen lassen; ergänzt durch eine ausgezeichnete Kapitalrentabilität (vgl. DIW 11/92), bestehen aus Lohnzusammenhängen nachweislich keine Standort- oder Wettbewerbsnachteile. Wer diese genannten Kriterien für „internationalen Wettbewerb“ wegläßt, aber laut in der Gegend herumtönt, der hat entweder keine Ahnung – oder betreibt gezielte Verdummung.
2. Zu Schüttes Thesen sei daran erinnert, daß sie keinesfalls den Stein der Weisen auf der grünen Wiese markieren. Es gibt schon einen Namen dafür: neoklassische Arbeitsmarkttheorie; seit Beginn der achtziger Jahre in der (kritischen) Diskussion und von CDU/CSU bis FDP gerne und viel propagiert.
Natürlich „müßte für die Unternehmen die Abgabenlast so kalkuliert werden, daß ihre heutige Belastung... nicht überschritten wird“. Dabei lernen wir: Es geht um Arbeitslose, es geht aber auch um Verteilung. Nur: Vom wirtschaftlichen Ausverkauf der DDR-Betriebe, der Kahlschlagpolitik der Treuhand, von den insgesamt abgeschöpften Unternehmensgewinnen (1992 entnommen: 493 Milliarden!) von der Steigerung der Gewinnquote am Volkseinkommen um neun Prozent, von Kapital„export“ und Steuervorteilen – bei Schütte keine Rede. Auch keine davon, die Verursacher zu der „Gesellschaftlichen Aufgabe“ angemessen heranzuziehen. Dafür gerne an mehreren Stellen den Renditebedingungen der Unternehmen das Wort geredet. – Verschwiegen wird auch, daß sein Zweiter Arbeitsmarkt (für Lambsdorffs, Haussmanns und Rexrodts ein alter Hut) Teil eines umfassenderen Deregulierungs- und Sozialabbau-Konzeptes ist und sozialpolitisch so sinnvoll wie das Bohren von Löchern in die Mitte eines Staudamms.
3. Schütte schreckt auch nicht davor zurück, aus der neoklassischen Trickkiste die Spaltung von Arbeitslosen und Arbeitsplatz„besitzenden“ unhinterfragt fortzuführen. Er verkennt (?) dabei, daß Lohnarbeit und Arbeitsplatzverlust bzw. -versagung ebenso wie Arbeitsbedingungen aus ein und demselben Abhängigkeitsverhältnis herrühren: Wer bitte verfügt über die Bedingungen von Arbeit!? „Übersehen“ scheinbar auch von Schütte, daß seit geraumer Zeit den KollegInnen in den Betrieben und ihren BetriebsrätInnen die Pistole auf die Brust gesetzt wird: Hier gibt's längst einen Zweiten Arbeitsmarkt neben den Stammbelegschaften und entsprechende Entsolidarisierungsversuche. Hier gehen konkret Arbeitsplätze verloren. Neben lauter Weltmarktorientierung deshalb lieber mal einen Blick in die Betriebe werfen und fragen, wie viele Arbeitsplätze dort durch Lohnverzicht geschaffen oder nur mal nicht plattgemacht werden! [...]
4. Schüttes Thesen entpuppen sich als modern verpackte Flankierung genau der kritisch diskutierten angebotsorientierten Politik, die auf dem Konjunkturargument systematisch Sozialstaat und Arbeitsbeziehungen zu „deregulieren“ und den Kapitalverwertungsbedingungen unterzuordnen angetreten ist; und das seit Jahren. Den Nachweis, X Lohnverzicht führe zu Y Arbeitsplätzen, wird auch Schütte kaum führen können. Dagegen gibt es sehr wohl Berechnungen, daß X Lohnverzicht zu Y Kaufkraftverlust führt. Oder, noch schöner: Wieviel Arbeitszeitverkürzung X bei gegebener Erwerbstätigenzahl, Kapazitätsauslastung und Sozialprodukt die Zahl der Arbeitslosen um Y vermindern kann. [...]
Selbst das DIW mahnt, die Lohnhöhe in der Wettbewerbsdebatte nicht wichtigeren Determinanten gegenüber überzubewerten – die Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bestehe auf Dauer vielmehr in der Verletzung eines sozialen Grundkonsenses durch unangemessene Verteilungsvorteile der einen (Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Vermögen) auf Kosten der anderen (Einkommen aus Arbeit). Geht es noch deutlicher?
Schütte spannt sich mit seinem Gerede vom Hochlohnland, Weltmarktkonkurrenz der geschwächten Unternehmen und unreflektierter Flexibilisierung vor den Karren der jüngsten Vorschläge aus Regierungskoalition und Arbeitgeberverbänden für weiteren Sozialabbau und Zerschlagung von Tarifbindungen. Irrt er sich einfach, oder ist es opportun, auf derzeit fahrende Züge aufzuspringen? Aus seinen „Thesen zur sozialpolitischen Fachanhörung“ erwächst leider wenig Kompetenz. [...] Für einen Mitarbeiter eines DGB-Bildungswerkes zumindest erstaunlich. Birgit Sadowski,
Sozialökonomin, Hamburg
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