Made in Germany: Die Dekadenz der deutschen Dominanz
ZU HAUSE BEI FREMDEN
von Miguel Szymanski
Die Autos mit dem VW-Logo, die südlich von Lissabon vom Band laufen, sind heute das wichtigste Exportgut des Krisenlandes Portugal. Noch vor wenigen Jahren sagte der damalige deutsche Chef des Volkswagenwerks in Portugal in einem Interview, Portugiesen seien fleißige Arbeiter, „wenn sie von Deutschen beaufsichtigt werden“. Sonst tendierten sie wohl dazu, las nicht nur ich zwischen den Zeitungszeilen, herumzulungern oder nach der Schicht Werkzeuge und Klopapierrollen mitgehen zu lassen. Trotzdem waren Portugiesen immer stolz auf „ihre Volkswagen.
Ferrostaal mit korrupten Waffendeals, Guttenberg und Co. mit abgekupferten Doktorarbeiten oder deutsche Banken mit ihrem normalen Tagesgeschäft sind nur einige Tiefpunkte der deutschen Reputation in den letzten Jahre. Jetzt wurde mit den Abgastricks von Volkswagen der vorläufige Nadir erreicht, und Nadir ist diesmal kein syrischer Simulant, der nur gern in Wolfsburg arbeiten möchte.
In der Wahrnehmung des jeweils anderen Pols in den Nord-Süd-Beziehungen in der EU gab es bisher natürlich gegensätzliche Betrachtungsweisen. Von der deutschen Warte aus ist der Blickwinkel konstant geblieben: Faul und korrupt waren und sind in der Alltagssprache, auch der medialen, die anderen, die südlich der eigenen Grenzen – daher kämen Südeuropäer ohne die leitende Hand eines deutschen Zuchtmeisters und dem Beispiel einer schwäbischen Domina nie auf den produktiven Weg.
Von der Perspektive des Süden aus betrachtet, veränderte sich das Bild Deutschlands mit dem VW-Skandal nun in abrupter Weise. Wie durch einen plötzlichen Temperatursturz erhärtete sich der Verdacht zur Gewissheit, dass Deutschland auf dem Weg ist, moralisch eine schwarze oder rote Null zu werden und im Land der Maschinenbauer und Exporteure nichts wichtiger ist, als sich eine goldene Nase zu verdienen. Die Gegensätze schwächen sich ab und der Skandal verbindet nunmehr Norden und Süden: Die sind doch genau solche Betrüger und Gauner wie wir, sagt jetzt der Südländer, der den ganzen Tag auf dem staubigen Platz vor der Taverne sitzt und dabei gestikulierend mit dem Zigarettenstummel in die Luft stochert.
Dabei hat nur Deutschland etwas zu verlieren. Das Motto, es lebe sich ungeniert, wenn der Ruf erst ruiniert ist, greift nicht in einem Land, das hauptsächlich durch den Export seiner Technologie Einnahmen generiert. Deswegen sehen viele im Süden den VW-Skandal als den Anfang vom Ende der deutschen Dominanz in Europa.
Im Hintergrund hört man jetzt in Deutschland die übliche Kakofonie des Zynikerchors: Niemand erwarte doch heutzutage, dass Wahlversprechen eingehalten werden oder Autos das verbrauchen, was die Hersteller angeben, und Banken geben mit ihren Renditegaukeleien, die Ersparnisse verbraten, ohnehin seit Jahren den Ton an. Von daher sei auch nichts Anrüchiges daran, mehr zu rauchen und zu rußen als ideell wünschenswert. Der Meeresspiegel, singen die Zyniker, steige doch, ob mit oder ohne Volkswillen oder Volkswagen.
Als Leitkulturträger in Europa scheitert Deutschland an seiner überzogenen Selbstwahrnehmung. Die Portugiesen selbst sehen sich nicht als Auto- oder Maschinenbauer, aber sie begreifen sich oft als geschickte Händler und haben wie viele gute Verkäufer so viel Humor, dass sie für einen neuen Witz keine Windungen scheuen: Das beste Geschäft für die krisengeplagten Länder wäre jetzt, Deutsche für den Wert zu kaufen, den sie haben, und für den Wert weiterzuverkaufen, den sie zu haben meinen.
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