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Macron im WahlkampfmodusÖl ins Feuer

Kommentar von Christine Longin

Die Aufgabe des französischen Präsidenten wäre es eigentlich, in einer gespaltenen Gesellschaft für Ruhe zu sorgen. Doch Macron tut das Gegenteil.

Macron sagt Ungeimpften den Kampf an Foto: Ludovic Marin/Pool/ap

E mmanuel Macron ist im Wahlkampf. Auch wenn er seine Kandidatur noch nicht erklärt hat, stürzt sich der Präsident ab sofort in die Kampagne um seine Wiederwahl. Anders kann man sich seine Bemerkung, er habe große Lust, „die Ungeimpften bis zum bitteren Ende zu ärgern“, nicht erklären.

Der Ausspruch, der im französischen Original deutlich aggressiver und vulgärer klingt als in der deutschen Übersetzung, sorgt zu Recht für Aufregung. Denn Macron zeigt drei Monate vor der Wahl, dass er nicht mehr der Präsident aller Französinnen und Franzosen ist. Er spaltet die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. Da 90 Prozent der Französinnen und Franzosen bereits immunisiert sind, weiß Macron eine deutliche Mehrheit hinter sich. Doch den Kampf um die anderen 10 Prozent hat er aufgegeben.

Für den Wahlkampf bedeutet Macrons Äußerung nichts Gutes. Schon jetzt ist das politische Klima so aufgeheizt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Präsident wurde im vergangenen Sommer von einem Anhänger der ultrarechten Szene geohrfeigt. Büros von Abgeordneten werden verwüstet und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister regelmäßig angegriffen oder bedroht.

Bei einer Kundgebung des rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour veranstalteten dessen Anhänger eine wahre Menschenjagd auf Anti-Rassismus-Aktivistinnen und -Aktivisten. Macron selbst warnte im vergangenen Jahr, dass die Gesellschaft immer gewalttätiger werde.

Strategie der Spaltung

Die Aufgabe des Staatschefs wäre es, in diesem Kontext für Ruhe zu sorgen. Doch Macron gießt noch Öl ins Feuer. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Seit Beginn seiner Amtszeit entschlüpften ihm wiederholt verächtliche Sätze gegen sozial Benachteiligte und Arbeitslose.

Er habe dazugelernt, bekannte er vor Weihnachten selbstkritisch in einem Fernsehinterview. Glauben kann ihm das nach seiner Äußerung zu den Ungeimpften keiner mehr. Mit einer Strategie der Spaltung kann Macron vielleicht die Wahl gewinnen. Doch der Präsident aller Französinnen und Franzosen kann er nicht mehr ­werden.

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18 Kommentare

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  • „Wenn meine Freiheit die anderer bedroht, dann bin ich unverantwortlich. Ein Unverantwortlicher ist kein Bürger mehr.“ Es sei die „immense Schuld“ der Impfgegner, dass sie den Zusammenhalt der Nation untergraben hätten, so Macron. (Quelle: www.msn.com/de-de/...Re5?ocid=msedgntp)

    Und damit hat er vollkommen recht. Wobei es ein Mysterium für mich ist, weshalb bei einer Impfquote von 90 % aller über 12-jährigen Franzosen von einer Spaltung der Gesellschaft fabuliert wird. Es handelt sich um ein paar Ungeimpfte, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können und um einen gesellschaftlichen Bodensatz, der völlig irrelevant für jeden seriösen Politiker ist. Dass Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon gerade hier ihre Chance wittern, sollte eigentlich alles erklären und bei jedem rechtschaffenen Menschen die Alarmglocken schrillen lassen.

    Die Geimpften verlieren langsam und mit voller Berechtigung die Geduld mit den mutwillig Ungeimpften. Es ist einfach ein Unding, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Leute die Mehrheit der Bevölkerung in Geiselhaft nehmen und aus Selbstsucht mit dem Leben von Menschen spielen, die z.B. an Tumoren operiert werden und anschließend intensivmedizinisch behandelt werden müssen, wo die OP aber bis zum St. Nimmerleinstag verschoben wird, weil man die Intensivkapazitäten für die 90% ungeimpften Covid-Patienten vorhalten muss. Ich habe für sowas absolut KEIN VERSTÄNDNIS!

    Sehr viel Verständnis habe ich allerdings für die Maßnahme von Facebook, dass scheinbar AUSNAHMSWEISE, gegen Covid-Lügen, Hetze etc. vorgegangen wurde, indem das Facebook-Profil einer rechtsaußen Splitterpartei gesperrt wurde. Herr Morawiecki fand das zwar nicht so prall und sprach von Machtmissbrauch und Monopol (was beides nicht stimmt), das aber wohl eher vor dem Hintergrund, dass PiS nach den nächsten Wahlen wohl auf solche Koalitionspartner angewiesen sein dürfte.

  • Der Artikel einschließlich Foto wirkt auf mich wie bemühtes Anti-Macron-Framing um eine eigentlich viel interessantere unausgesprochene Kernfrage: Dürfen, sollen Politiker*innen, egal ob Wahlkampf oder nicht, ehrliche Empörung zeigen?



    Unausgesprochen wird bei uns, wenn auch höflich verbrämt, längst auch nach dem Motto verfahren 'il faut les emmerder'.



    Mir erscheint diese Neigung zur Sedierung von Krisen und die Scheu vor offenen Worten und Konfrontationen (s. Wiederwahl Steinmeier), die gerne dabei mit dem Leichentuch der 'Spaltung der Gesellschaft' wedelt, teilweise wie Unsicherheit gegenüber dem eigenen ethischen Standpunkt. Weshalb die dünnhäutige Kontur dieser Ethik von allen möglichen Durchgeknallt*innen, die immerhin ihrer verrückten Sache sicher sind, so leicht zu durchlöchern ist.

    • @Jossito:

      Frankreich wurde mal von menschenverachtenden Zynikern, die sich als distinguierte Übermenschen gaben, besetzt und geknechtet. Deutschland hat sich dieser Brut aus freien Stücken und zwanglos an den Hals geschmissen; das ist megapeinlich für ein selbsternanntes "Kulturvolk", und hat auch heute noch viel Einfluss auf den jeweiligen Politikstil.

  • Im Dialog mit Impfgegnern kann es nur darum gehen, sie von der Impfung zu überzeugen. Denn die Impfgegner haben kein einziges wissenschaftlich untermauerbares, stichhaltiges Argument. Ihre Position IST falsch, ganz einfach. Es kann keinen Kompromiss zwischen naturwissenschaftlichen Fakten und Lügen geben. Jede Art von Gespräch mit diesen Leuten kann nur ihrer Überzeugung dienen. Und wenn das trotz aller Erklärungen und aller Rücksicht nicht klappt, muss man eben auch mal bereit sein, solche Leute in dieser Sache aufzugeben.

    • @Suryo:

      Impffetischismus und Inzidenzen

      Zitat @Suryo: „Im Dialog mit Impfgegnern kann es nur darum gehen, sie von der Impfung zu überzeugen. Denn die Impfgegner haben kein einziges wissenschaftlich untermauerbares, stichhaltiges Argument. Ihre Position IST falsch, ganz einfach. Es kann keinen Kompromiss zwischen naturwissenschaftlichen Fakten und Lügen geben.“

      Na dann schau‘n wir uns doch mal die Fakten an: Man lege die Verlaufskurvenfolien der Impfquotenentwicklung und derjenigen der Inzidenzen der Infektionsausbreitung in Europa übereinander und wird erstaunt eine überraschende Koinzidenz zwischen beiden feststellen: Die Impfquoten-Spitzengruppe weist auch die dramatischsten Inzidenz-Anstiege auf. Dies ist zunächst lediglich die Beobachtung einer Korrelation und keiner Kausalität, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Aber zumindest drängt sich die vorläufige Schlußfolgerung auf, die Impfquote ist für das Containment der Pandemie so relevant wie die Zahl der Störche für die Geburtenrate. Wenn, wie sich erwiesen hat, das GOM-mRNH-Vaccin von Biontech, denn v. a. um dieses spezielle Produkt und diese spezielle Marke geht es im Grunde in der ganzen Debatte, nicht zur sterilen Immunität taugt, dann taugt es auch nicht, wie die Zahlen belegen, zur nachhaltigen präventiven Bekämpfung der Infektionsausbreitung, bestenfalls zur Kontrolle von deren klinischen Folgen. Das ist nicht dasselbe.

      Schwere Verläufe lassen sich allerdings inzwischen auch medikamentös verhindern, sogar ambulant, ohne dazu die ganze Welt mit Mann und Maus „durchimpfen“ zu müssen.

  • Und als nächstes folgt dann der Ratschlag, aggressive Rechtsextreme bitte auch zu integrieren und sich ihre "Sorgen und Nöte" anzuhören, um nur ja nicht irgendwas zu spalten?

    Und wann darf man eigentlich die letzten zehn Prozent Impfgegner doch getrost "aufgeben"? Nach drei Jahren? Vier? Nach zweihunderttausend Toten? Dreihunderttausend?

  • Ich verstehe die Angst vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Andererseits hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass jeder Versuch, auf Querköpfe zuzugehen und Verständnis zu zeigen, bei diesen als Bestätigung ihrer Strategie gewertet wird. Die Weicheier der Regierungen treiben sie schön vor sich her. In einer Situation, in der bei einem bestimmten Bevölkerungsanteil das Denkvermögen komplett ausgesetzt hat, finde ich es schon überlegenswert, einmal deutlich zu machen, wo die Grenze ist, was man sich nicht mehr gefallen lässt und auch dass man sich wehren wird. Wir haben ja schon Morddrohungen gegen Ministerpräsidentinnen, sollen wir das echt dulden? Welcher "unserer" Coronaleugner hat sich je davon distanziert, so dass man dergleichen noch auf verwirrte Einzeltäter schieben könnte? Mir kommen diese Leute eher wie Sektenmitglieder vor, mit denen kann man nicht reden, die halten sich für Erweckte, glauben jeden Quatsch, wenn er nur auf Telegram gepostet wird, und hassen Kompetenz. Wer auf die Rücksicht nimmt, die keine Rücksicht nehmen, ist am Ende der Verlierer.

  • Sollte sich an Deutschland ein Beispiel nehmen. Agressive pöbelnde Minderheiten sind unbedingt zu integrieren, um Ihre Rolle als Wegweiser für die politische Entscheidungsfindung ausüben zu können!

  • „Da 90 Prozent der Französinnen und Franzosen bereits immunisiert sind, weiß Macron eine deutliche Mehrheit hinter sich.“

    Das ist ein grandioser Fehlschluss. Wieso sollten 90% dafür sein, dass Macron irgendwen „ärgert“?

  • Ich lese hier auch keinen Skandal. Auch keine Spaltung. Er sagt letztlich doch nur was die meisten denken: "Die die sich Impfen lassen können, sollten es auch machen.".



    Die einzige Spaltung geht derzeitig nicht von der Politik aus, sondern von den ganzen Verschwörungstheoretiker:innen welche wir leider tagtäglich sehen müssen und ihr Geschwurbel welches wir dazu hören müssen.



    Dies hat nichts mit gebashe gegen "sozial Benachteiligte und Arbeitslose" zu tun, sondern geht genau in Richtung der Schwurbler:innen.

  • Die Gesellschaft wird doch nicht von Macron gespalten. Im Gegenteil muss es doch darum gehen, dass die Gesellschaft sich ihrer selbst vergewissert, sich entscheidet, was sie für politisch richtig und sozial solidarisch hält. Wer das verweigert darf aufgegeben werden. Und ein französischer Präsident präsidiert eben nicht, auch jenseits von Wahlkämpfen. Er regiert, er muss sich klar positionieren, er ist es auch seinen Wählern schuldig, das zu tun. Und er darf auch fordern. Alles andere ist Versagen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Zumal es in Frankreich Tradition hat, im Wahlkampf "abzukärchern" aber in der Realpolitik weit zahmer aufzutreten.

      Die Bevölkerung kennt das und weiß, wie es einzuordnen ist. Das läuft da seit den Anfangsjahren der Dritten Republik so, wenn nicht schon seit der zweiten.

  • Warum sollte ein Präsident nicht genau gegen diejenigen polemesieren, die das schon seit Jahren gegen 90% der Gesellschaft machen?



    Ich würde mir ähnlich klare und deutliche Aussagen gegen "Spaziergänger" wünschen.

  • "Er spaltet die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte."

    ER?? Die Gesellschaft IST gespalten, weil sich einige nicht schützen wollen. Das haben die ganz ohne sein Zutun selbst zu verantworten!

    Macron benennt das nur. Da zeigt ein Politiker mal Kante und spricht deutliche wichtige Worte aus und schon "spaltet er die Gesellschaft"...das ist doch lächerlich.

    Es sollte mehr wie ihn geben, die mal eine klare Sprache sprechen und nicht jedem Querdenker in den Hintern kriechen wollen, nur um eine Wahl zu gewinnen.

  • Ich bin francophile, seit ein paar Jahren auch doppelter Staatsbürger DE/FR und Macron ist nicht mein Freund. Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Eine Minderheit von Impfverweigerern nimmt den Rest der Welt in Geiselhaft.



    Zur Frankophilie:



    taz.de/Die-Wahrheit/!5823483/



    Auch wenn Wahlkampf ist, er gewinnt bei mir damit Sympathien!

  • Es sind die Impfverweigerer, die die Gesellschaft spalten, nicht diejenigen, die die notwendigen deutlichen Worte auch mal aussprechen. Es wird auch in Deutschland Zeit, dass auf diese krass egoistische Minderheit nicht mehr mehr Rücksicht genommen wird, als auf die vernünftige, aber verärgerte Mehrheit, denen diese Menschen schaden zufügen!

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Macron unterstützt nicht die Franzosen die rückwärts mit Augen zu betrunken bei 160 km/h auf der Autobahn fahren wollen? Skandal.

    • @06792 (Profil gelöscht):

      Das sind für dich Ungeimpfte ?



      Ich denke nicht, genauso wie nicht 90% Geimpfte dahinter stehen.