: Machos, Sehnsucht, Ethnoflair
■ Hautkontakt am Wochenende gesucht? Auf zum Tangoball im Metropol
Ricardo Brok ist Argentinier und unterweist die Jugend Berlins im Tangoschritt. „Es kommt was Neues“, lautet sein Credo. „Junge Leute wollen wieder zusammen tanzen, und ich glaube, daß die lauten Discos in Zukunft weniger beliebt sein werden.“ Ein neuer Trend also? Zeitgeist im Zeichen der Aids-Kultur? Zweisamkeit im Tanzschulenrhythmus?
So ganz falsch kann er ja wohl nicht liegen, überall scheinen die Tangokurse derzeit aus dem Boden zu schießen. Überhaupt: Tanzschule ist wieder „in“. Vor 20 Jahren hatte eine ganze Generation diese, wie es scheint, gemieden und als spießig entlarvt. Gerade diejenigen aber scheinen jetzt um so begeisterter. Das Singlezeitalter geht zu Ende, der Tango kommt.
„Es ist ein Spiel mit den alten Rollen, zwischen wirklichen Frauen und Männern“, erklärt Natascha B. (26). „Endlich zieht man sich wieder schön an, und es gibt wieder das Altmodische. Außerdem liebe ich es, aufgefordert zu werden.“ Sie ist Schauspielerin und verrät, daß sie sich gerade auf einen Vorstellungstermin bei einer Fernsehserie vorbereitet. Gesucht wird eine Tangotänzerin. Auch das Fernsehen hat also den Trend schon entdeckt. Und Anette S. (33) findet, daß es in ihrer Jugend nur den Einzelgängertrip gab. „Das hat bei mir ein Defizit erzeugt. Außerdem ist alles viel unüberschaubarer geworden, und das bringt Sehnsüchte.“
Die Antwort heißt also nicht „neue Weltordnung“, sondern Tango. Endlich kann man wieder nah zusammen tanzen. Und endlich kann der Mann wieder führen. Die alten Machos können erneut ihren Charme verbreiten. Der Tango, der etwa vor etwa 80 Jahren auch in Europa als Gesellschaftstanz populär wurde, entstand als „Ganoventanz“ im Unterweltmilieu Argentiniens. Auf 20 Männer kam in diesen Kreisen eine Frau. Es ist das aggressive Buhlen – Geschlechterrollen pur. Eine Absage an die Geschlechtsneutralität im Zeitalter der „political correctness“. Das Metropol am Nollendorfplatz setzt deswegen auf „La Cumbia“. Die größte Disco Berlins hat sich wohl gesagt, daß es besser ist, die Vergnügungskonkurrenz im eigenen Haus zu haben. Seit kurzem gibt es im ehemaligen „Loft“ jetzt also jeden Freitag und Samstag einen „Ball Latino“. Ein extra zu diesem Zweck jeweils eingelegter Parkettboden sorgt für den richtigen Untergrund, und mit Hilfe von Tango, Salsa, Swing und Merengue sollen alle Standardtänzer auf ihre Kosten kommen. Diejenigen, die es auch bis jetzt noch nicht in eine Tanzschule geschafft haben, können erst nach Mitternacht darauf hoffen, daß die Musik aufgelockerter wird. Geschäftsführer Jacques Ihle glaubt, eine Marktlücke entdeckt zu haben. „Selbst diejenigen, die zur Tanzschule gingen, kommen dann zur Disco, und danach bleibt nur noch Café Keese. Richtig tanzen kann man in Berlin nicht.“ Aber er hat auch noch eine weitere Mission. „Nirgendwo in der Welt sind die Leute so schlecht gekleidet wie in Berlin“, glaubt er und findet, daß es gilt, dies zu ändern. Die Türsteher haben also strikte Anweisung, auf Turnschuhe und Jeans zu achten. In diesen Fällen gibt es kein Erbarmen, und die Tür bleibt zu. Übersteht man die Kleiderkontrolle, so sieht man das „Loft“ in einer neuen Mixtur von Ethnoflair, Jugendstil und Zeitgeist.
Eröffnet wurde das „La Cumbia“ mit der Moderatorenankündigung, daß ein „neuer Stern im Berliner Nachtleben“ aufgegangen sei. Das Publikum wird darüber entscheiden, ob es sich hierbei um einen Fixstern oder eine Sternschnuppe handelt. Dieter Wulf
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