: MY EMPTY PAGES
1. „Sie war zwar schon über 40, und Ibiza ist auch nicht gerade der passende Ort gewesen (in einer schummrigen, verregneten Gasse, mit der Nadel im Arm - so hätte es sein müssen).“
2. Nico: „Fatalistisch. Ja, weil ich am 16. geboren bin... Oktober... 16 ist einfach eine ganz schlechte... Nummer... Eine fatalistische Zahl... und da hat man sehr oft Unglück.. Ich meine, man verliert oft.“
3. 16.8.88. Es ist nicht mehr so heiß. Wolken, Schatten der Bäume, vielleicht 20 Leute auf einem verwachsenen Friedhof, der mitten im Grunewald vergessen wurde. Musiker, Verwandte, ihr Sohn, Freunde, ein englischer Geistlicher. Es ist nicht traurig, man steht nur da, weil man zufällig den Termin erfahren hatte, weil man sie geliebt hat. Die Trauer ist nicht zu beerdigen. Die Einsamkeit ist eine andere geworden. Ari, Nicos Sohn, stellt den Kassettenrecorder vor das Grab, drückt auf den Knopf, und Nico singt „Mütterlein“, ein Lied, das sie nach dem Tod ihrer Mutter geschrieben hat: „Liebes kleines Mütterlein, nun darf ich endlich bei dir sein/ Die Sehnsucht und die Einsamkeit/ erlösen sich in Seligkeit.“ Ari schaltet den Recorder ab, bevor das Ende verklungen ist. Aus. Erde. Handküsse. Blumen. Stehen auf Friedhofswegen in der warmen Sonne. Verlaufen. Weggehen und Bleiben ist dasselbe. Die Wut auf die Dummschwätzer, denen immer nur Andy Warhol und die Velvet Underground einfallen und ihr die letzten 20 Jahre nie zugehört haben, löst sich auf. Der Kampf ist vorbei. Schamlos einsam sein und die Verletzbarkeit mit arroganter Offenheit verteidigen. Mit dem Rad fahren...
4. „Langweile ich Euch nicht?“ (Lächelnd)
5. „Und hatte eine Sehnsucht/ und wußte nicht wonach. Als sie einsam war/ und so blond ihr Haar/ und ihr Mund so rot wie Wein/ und wer von diesem Wein trank/ kommt nie mehr glücklich heim. Was blieb von ihrem Leben/ ein Lied, das niemand sang/ Sankt Peter ließ sie warten/ zwei Ewigkeiten lang. Weil sie einsam war/ und so blond ihr Haar/ und ihr Herz so tot wie Stein. Da rief er armes Kind komm/ sollst nie mehr einsam sein.“
6. Nico: „Ich singe noch ein Lied. Dann könnt ihr tanzen.“
Konrad Heidkamp
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