: MVA nirgendwo -betr.: "Der Beginn der Meuterei", "Die Tonne ist voll", taz vom 17.2.94
Betr: „Der Beginn der Meuterei“, „Die Tonne ist voll“, 17.2 94
Den Wilhelmsburgern gebührt unser Respekt für ihren Protest gegen die geplante Müllverbrennungsanlage (MVA) in Neuhof. Aber ihre Argumentation: Keine MVA nach Wilhelmsburg, weil die Region schon mit genug Müll (Georgswerder) und Industrie belastet ist, ist zwar verständlich, aber kurzsichtig. Das Ziel muß heißen: Keine MVA in Wilhelmsburg und überhaupt nirgends in Hamburg oder sonstwo, weil wir keine brauchen, weil wir alle schon genug Allergien, Neurodermitis, etc. haben, und weil wir nicht im Mief von MVAs ersticken wollen.
Ich empfehle unserem schlauen Umweltsenator, ab und zu einen Blick in den Hamburger Abfallwirtschaftsplan von 1989 zu werfen. (...) Bei der Lektüre würde Fritz V. folgendes wieder einfallen: „Hausmüll... läßt sich reduzieren um 30 % .... unter Hamburger Rahmenbedingungen.“ „Die Verwirklichung von vier dezentral verteilten Kompostwerken ist in Vorbereitung.“ Wo sind nun die geplanten Kompostierungsanlagen und flächendeckenden Erfassungssysteme? Die Wörter „Vermeiden“ und „Reduzieren“ vermisse ich in der Diskussion um Neuhof und in Herrn Vahrenholts Wortschatz.
Dem Chemiker Vahrenholt dürfte bekannt sein, daß Müllvermeidung und Müllverbrennung sich ausschließen. Weil große Müllmengen für den Verbrennungsprozeß benötigt werden, haben die Betreiber kein Interesse an der Vermeidung, und die Stadt verpflichtet sich auf Jahre hinaus, ihnen eine bestimmte Müllmenge zu liefern. Ganz abgesehen davon, daß wir beim Bau einer MVA mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 20 Jahren mehr Müll durch Bau, Betrieb (mindestens 40 % des Müllgewichts bleiben nach der Verbrennung als hochtoxische Filterstäube, Flugasche , Schlacke und Schlämme übrig) und Abriß produzieren, als je darin verbrannt werden kann.
Aber, ach ja, der Bau einer MVA könnte in Neuhof 600 gefährdete Arbeitsplätze retten. Leute, daß uns das nicht längst aufgefallen ist! Baut MVAs zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und der Müllberg schrumpft ganz nebenbei. Welch überzeugende Argumentation!
Chemiker, die pro Müllverbrennung reden, bleiben mir suspekt.
Birgit Holin
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