: „MANGA“-COMICS: SPRECHBLASEN-KULTUR IN JAPAN
Überwältigende Vielfalt
Tokio (dpa/taz) — Als Land der Sprechblasen-Literatur hat Japan die USA und Europa weit hinter sich gelassen. 65 Prozent der 124 Millionen Japaner halten die „Manga“ genannten Comics für wertvollen Lesestoff. In den überfüllten Eisenbahnen schlagen die Bilderbücher die Tageszeitung. In der Pause vertreiben die gezeichneten Geschichten Büroangestellten, Bauarbeitern oder Schülern die Zeit. „Jeder liest Manga, vom Fünfjährigen bis zum Fünfzigjährigen“, berichtet Toshiharau Sasaki vom Forschungsinstitut für Medien. Zwei Milliarden Hefte wurden 1990 in Japan gedruckt. Die Verlage setzten 3,3 Milliarden Dollar um und verzeichnen ungebrochene Zuwachsraten. Vielen geht es wie der Studentin Masanori Fujiwara: „Wenn du einmal angefangen hast, eine Geschichte zu lesen, kannst du nicht mehr abwarten, was in der nächsten Ausgabe steht.“
Die Vielfalt ist überwältigend. Das Themen-Spektrum reicht von Comics für Kleinkinder über die Heldengeschichten von Samurai-Rittern, Weltkriegs-Soldaten und Formel-eins-Piloten bis hin zu romantischen Liebesgeschichten und harter Pornographie. Die beliebtesten Magazine haben den Umfang eines Telefonbuchs und erreichen wie der Schüler-Bestseller Shonen Jump wöchentliche Auflagen von fast sechs Millionen Exemplaren. Manche populäre Titel wie Abteilungsleiter Koskau Shima sind direkt auf die Alltagswelt der erwachsenen Leser zugeschnitten. Yutsuko Chusonji, Zeichnerin einer Serie, in der unscheinbare Sekretärinnen („Office Ladies“) das große Los ziehen, hat ein eindeutiges Anliegen: „In meinen Comics werden die Träume der Office Ladies wahr.“
Für Proteste sorgen hingegen Gewalt- und Sexszenen in vielen Serien. Eltern und Frauengruppen fordern schärfere Auflagen für die Zeichner. Die wiederum fürchten Zensur und pochen auf die Autoren-Freiheit. Dabei übernehmen die Zeichnungen zunehmend auch pädagogische Aufgaben. Japanische Schulbücher verschweigen bis heute weitgehend die Untaten des Landes im Zweiten Weltkrieg. Die Gruppe Piezo Comic dokumentierte die Kriegsschuld dagegen in einer vierbändigen Serie in aller Offenheit. 100.000mal wurde ein Heft über die Grundlagen der japanischen Wirtschaft verkauft. Auch die Behörden nutzen das Manga-Fieber und warnen oder erklären per Sprechblasen-Poster. Warum ist Japan das „Comic-Megaland“? Der Verleger Yoshiyuki Kurihara: „In Japan kannst du 30jährige treffen, die noch nicht erwachsen sind.“
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