Berliner Szenen: M 29
Berlin zur Gänze
Ich bin neu in der Stadt. Der Bus rangiert hier wahrscheinlich an letzter Stelle, um von A nach B zu kommen, denke ich anfangs. Es sei denn, man gehört wie ich zu denjenigen, die der Orientierung und der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Also nehme ich den M29 fast täglich vom Kudamm zur taz am Checkpoint Charlie. Alles scheint leichter zu gehen, wenn man seine Umgebung sehen kann. So habe ich außerdem die Chance, Gebäude am Wegesrand wie ein zeitgenössischer Däumling im Kopf festzuhalten. Wie ein Däumling, der seine verzweifelten morgendlichen Screenshots von Google Maps hinter sich fallen lässt.
Ich freue mich ausnahmsweise mal über meine Schwäche – komplette Orientierungslosigkeit. Denn ohne sie würde ich mich nicht stets im M29 wiederfinden. Dieser gelbe Doppeldecker verabreicht mir die volle Dosis sämtlicher Facetten Berlins in 18 Minuten. Win-win. Nicht nur, dass die Historie präsent ist – der M29 passiert unterwegs Hiroshima in Form eines Stegs über den Landwehrkanal – nein, im Inneren präsentiert sich mir die komplette städtische Demographie: Hochbetagte und Hipster, lärmende Schüler und verzweifelt ins Handy rufende Unternehmer.
Es passt sehr viel Berlin in einen Bus. Auch Gerätschaften aller Art fahren mit: Fahrräder, Rollstühle, Gitarren, you name it. Vor dem Fenster wechseln sich derweil end- und erbarmungslos urbane Rhythmen ab – Parks, glanzvolle historische Gebäude, dann wieder die seltsame Einheitlichkeit der Neubauten. Und ich komme auch noch dort an, wo ich hinwollte. Die Stadtrundfahrtbusse sollten das Fürchten lernen! Denn in Berlin gibt es Konkurrenz, wo man sie am wenigsten erwartet. Ich jedenfalls setze meine letzten Cents auf eine Reise mit dem M29. Elena TaxidouAus dem Griechischen vonMaria Brand
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