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Lustlos

■ Anstandslos erotisch, Do., ARD, 23.00 Uhr

Der Titel wollte Programm und Fanal zugleich sein: Anstandslos erotisch sollte es zugehen. Und das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! Tatsächlich. Die vollmundige Programmankündigung machte hören und staunen. Hat die ARD nun endlich beschlossen, den Bums- und Rammelstreifen von Sat.1 und RTLplus Paroli zu bieten? Oder klemmt sich da eine Kulturredaktion wieder mal ein feuilletonistisches Feigenblatt vors Schamteil, um wenigstens ein bißchen „auf Lust machen“ zu dürfen? Denn darum ging es. Und zwar aus Frauensicht.

Die neue Lust am Mann — so lautete der Untertitel der Sendung. Die Autoren, Hilde Bechert und Klaus Dexel, waren ausgezogen, um herauszufinden, was es denn nun eigentlich genau mit der neuen weiblichen Erotik auf sich habe. Weil ihnen selbst dazu rein gar nichts einfiel, befragten sie sieben prominente Frauen, die alle in irgendeiner Weise mit dem Thema zu tun haben: Die Männer-Fotografin Brigitta Maria Meyer, die Herausgeberin des Erotik-Jahrbuches Claudia Gehrke (Mein heimliches Auge), die Sängerin Dagmar Aigner und die Schriftstellerinnen Dorothea Zeemann, Anne Rose Katz, Ulla Hahn und Benoite Groult (Salz auf unserer Haut).

Sie alle sollten vor laufender Kamera über ihre und andere Lüste sprechen. — Ja, wohlgemerkt: sprechen. Denn wo andernorts medienseitig längst bumsfidel gevögelt wird, da setzte die ARD wertkonservativ auf den Diskurs. Was grundsätzlich nichts Schlechtes an sich hat — denn entgegen landläufiger Annahmen ist Sex wohl weniger eine bestimmte Konstellation der Geschlechtsteile als eine Phantasie im Kopf.

Doch weder Phantasie noch Kopf konnten sich an dieser Sendung freuen. Das lag jedoch nicht an den befragten Frauen, sondern ging eindeutig auf das Konto der Filmemacher. Kreuzbieder wurde da ein Standard-Porträt nach dem anderen heruntergekurbelt. Eine dröge Interviewtechnik erstickte selbst die klügsten Gedanken im Keim. Und mochten die vorgestellten bzw. gelesenen Werke noch so gut sein, die Autoren schafften es durch sture Abfilmerei hodentötende Langeweile zu verbreiten. Dazu wurde zum tausendsten Male die alte Ausschlußfrage: Pornographie (pfui!) oder Kunst (hui!)? aufgewärmt und ohne zu hinterfragen bestätigt.

Da saß ich nun, ich Mann, und harrte der neuen Lust an mir und meinem Geschlechtsgenossen, die uns in der Sendung vorenthalten blieb. Die Texte und Bilder, die in anderen Zusammenhängen sehr wohl Erotik zu transportieren vermögen, wirkten in ihrer kulturellen TV-Aufbereitung prüde und keimfrei. Sex und Kultur verbinden sich eben nicht zwangsläufig zur Sexkultur. Martin Muser

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