: Luruper Wind-Wildwest
■ KleinbürgerInnen-Hysterie verhindert erste Windkraftanlage in Hamburger Gewerbegebiet – und wahrscheinlich auch alle weiteren Von Marco Carini
Damit hatte Karl-Andreas Feldhahn „nie und nimmer gerechnet“. Wochenlang mußte der Geschäftsführer des Luruper Medizintechnikherstellers „Weimann“ wüste Beschimpfungen, anonyme Anrufe und unverblümte Morddrohungen über sich ergehen lassen. Das „Verbrechen“ des Firmenleiters: Er wollte am Hellgrundweg eine Windkraftanlage bauen lassen, um die für den Unternehmensbetrieb notwendige Energie – rund 275.000 Kilowattstunden jährlich – umweltfreundlich zu erzeugen.
Doch nach wochenlangen Drohungen gab Feldhahn „aus Verantwortung gegenüber meinem Unternehmen“ jetzt entnervt auf: „Eine sachliche Diskussion war nicht mehr möglich“. Unrühmlicher Höhepunkt der Hetze aus der Nachbarschaft: Als Feldhahn vergangene Woche bei einer von den Altonaer Bezirksparteien initiierten Anhörung zu dem geplanten Windkraftprojekt das Wort erhob, wurde er nach dem ersten Satz niedergebrüllt. Einige aufgebrachte AnwohnerInnen skandierten: „Hängt ihn auf am nächsten Baum“.
Der Bedrohte hat für den Protest der AnwohnerInnen sogar noch „teilweise Verständnis“. Eingekesselt von Autobahn und Bahntrasse sind die direkt unter der Einflugschneise des Flughafens wohnenden Luruper einem hohen Lärmpegel ausgesetzt, der sich mit dem geplanten Bau der Mega-Halle im nahen Volkspark noch verstärken wird. Obwohl Schalluntersuchungen und „Schattenwurfberechnungen“ zeigten, daß die BewohnerInnen der 200 Meter entfernten Wohnsiedlung „Morgenröte“ nicht noch mit zusätzlichen Belästigungen durch den „Windspargel“ zu rechnen hätten, reduzierte das Unternehmen dennoch freiwillig Größe und Leistung der geplanten, rund 600.000 Mark teuren Anlage – und damit auch ihre Lautstärke.
Erfolglos. Zwar stimmten im bezirklichen Umweltausschuß die VertreterInnen aller Parteien für das Projekt, doch der Luruper SPD-Ortsverein fühlte sich von seinen Altonaer Bezirksabgeordneten übergangen und schlug Alarm. Zusammen mit einigen „Morgenröte“-BewohnerInnen starteten die Luruper Sozis in den örtlichen Anzeigenblättchen eine Kampagne gegen das Windrad.
Dem Medizintechnik-Unternehmen wurde dabei vorgeworfen, die Anlage aus Gewinnstreben oder Publicity-Sucht zu betreiben. „Völliger Quatsch“, sagt Feldhahn: „Die Anlage hätte kaum kostendeckend gearbeitet, und wir haben unsere Pläne nie an die große Glocke gehängt.“ Doch nach derartigen Veröffentlichungen hagelte es anonyme Telefon-Drohungen im Hause „Weimann“: Unbekannte drohten Anschläge auf das Firmengelände an.
Der Rückzug des Geschäftsführers entlastet auch die Tagesordnung der für Umweltfragen zuständigen Senatskommission, die aufgrund der Luruper Debatte im März eine Grundsatzentscheidung zum Windrad-Bau im Stadtgebiet fällen wollte. „Das ist jetzt nicht mehr nötig“, glaubt Feldhahn: „Nach diesen Vorfällen wird sich kein Hamburger Unternehmen mehr trauen, eine Windanlage zu bauen“.
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