Luisa Neubauer über Klaus Wiegandts Buch „3 Grad mehr“: Sprechen wir über Macht

Die Lösungen, die in Klaus Wiegandts Buch „3 Grad mehr“ aufgezeigt werden, müssen nicht nur bekannt gemacht werden, sondern vor allem mächtig. Das haben wir bisher nicht geschafft.

Foto: Michael Danner

Von LUISA NEUBAUER

Bis heute, und im Sommer selbst bei 40 Grad im Schatten, scheinen sich Teile der Öffentlichkeit und Politik mehr dafür zu interessieren, wie über die Klimakrise gesprochen wird, als darüber, wie sie bewältigt wird. Wer über die gefährlichste Katastrophe des Jahrhunderts sprechen möchte, darf bloß nicht zu laut sein, nicht zu hysterisch, nicht zu ernst, nicht zu humorvoll. Nicht zu viele Fakten liefern, nicht zu viele Gefühle zeigen, nicht moralisieren, schon gar nicht predigen und keine Vorschriften machen. Was okay ist: freundliche Hinweise über die Apokalypse, natürlich ohne apokalyptisch zu werden, gerne mit Praxistipps und einer Prise Hoffnung. Ein britischer Meteorologe wurde neulich vor laufenden Kameras gebeten, doch auch etwas Positives über die extreme Hitze zu sagen. Nicht, dass am Ende noch jemand schlechte Laune bekommt. Verdaulichkeit geht über Wirklichkeit.

Heute, über vier Jahre nach dem Auftauchen von Fridays for Future, ist weiterhin offen, welcher Ton, welche Sprache und Form der Krise gerecht werden kann. Es wurde endlos diskutiert und geschrieben, doch weder politisch noch gesellschaftlich oder medial ist ein Zustand eingetreten, der der Sache gerecht wird. Ein breites Durchdringen, einen exekutierten Klimanotstand gab es nicht. Weiterhin müssen wir uns fragen: Wie schreibt man auf, was es noch nie gab? Wie redet man über das Unbegreifbare? Welche Worte brechen durch das Klima-Rauschen?

Und inmitten der Klimahitze, der Brände, der neuen fossilen Expansionen ist noch eine zweite Frage im Sprechen über die Klimakrise dazugekommen: Wie spricht man noch über das Klima? Was sagt man, wenn alles gesagt ist? Immer weniger ist es die Sprache, sondern die Sprachlosigkeit, die in den Vordergrund rückt. Denn es spricht doch für sich, was diesen Sommer passiert ist, oder? Der schmelzende Asphalt unter den Fahrradreifen bei der Tour de France, die Feuer, die Windräder bedrohen, die Bischöfe, die in Norditalien für Regen beten, die Hungerkrisen. Was braucht es denn noch?

Mehr Aufklärung über die Folgen von klimapolitischer Untätigkeit braucht es, laut des Buches 3 Grad mehr, das nun im oekom Verlag erschienen ist. Der Stifter Klaus Wiegandt hat es herausgegeben und die Spitze der deutschen Klima- und Sozialforschung zusammengebracht, um aufzuschreiben, wie eine Zukunft aussehen könnte, wenn die globale durchschnittliche Erhitzung auf drei Grad ansteigt. Das ist der Klimapfad, auf dem wir uns etwa gerade befinden. Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber, Jutta Allmendinger und andere erklären in dem Buch auch, mit welchen Lösungen das Eintreten ein solchen Szenarios verhindert werden kann und wie diese Lösungen gerecht finanziert werden können. Ein wichtiges Buch, fast schon ein Nachschlagewerk zu den großen Themen, Moore, Migration, Landwirtschaft, Bauen. 3 Grad mehr ist ein umfassendes, tiefes Buch für Menschen, die bereit sind, sich der Komplexität der Sache zu stellen.

Was das Buch nicht beantwortet, ist die Frage, wie Informationen vermittelt werden können, sodass sie Wirkung entfalten. Und: Warum Fakten bisher so erschreckend wenig verändert haben. Warum immer mehr informierte Menschen nicht im gleichen Maße informiertes Handeln in der Klimakrise produzieren.

Wege aus der Schockstarre

Es ist elementar, und da trifft das Buch einen wichtigen Punkt, Menschen aufzuklären und mit Erkenntnissen über die Szenarien der Zukunft auszustatten. Nur, das allein ermächtigt nicht, sich der Klimakrise entgegenzustellen. Viel eher droht dieses Wissen zu erschlagen. Wissen ist nicht immer Macht – in der Klimakrise ist Wissen auch schnell Ohnmacht. Dabei führt 3 Grad mehr auch aus, dass die Zivilgesellschaft gebraucht wird, um einerseits Druck auf die Politik auszuüben und andererseits Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen in der Gesellschaft herzustellen.

Im Buch wird das ganz am Ende aufgeführt, als eine Art Zusatz. Viel eher ist es das, womit unsere Chancen stehen und fallen, die drei Grad heißere Welt zu verhindern. Und deshalb sollte die Rolle der Menschen, der Gesellschaft behandelt werden.

KLAUS WIEGANDT (Hrsg.):

3 Grad mehr. Ein Blick in die ­drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern

Oekom 2022 – 352 Seiten, 25 Euro

Vierzig Jahre lang haben Wissenschaftler:innen und Institutionen Menschen für die Lage zu sensibilisieren versucht. Was fast immer ausgeklammert wurde: die Frage, wie Macht in der Gesellschaft aufgebaut und Macht der fossilen Lobbys geschwächt wird. Über die Klimakrise zu sprechen, ohne über Macht zu sprechen, negiert die Tatsache, dass die Existenz der Klimakrise per se eine Konsequenz von Machtkämpfen ist. Bisher haben sie die fossilen Industrien gewonnen, deren Finanziers und politischen Unterstützer:innen. Zukünftig müssen die anderen gewinnen, diejenigen, die nachhaltige Lösungen vorantreiben, Schutz über Ausbeutung stellen, die Dominanz des globalen Nordens herunter und internationale Solidarität hochfahren wollen.

Die Lösungen, die auch in 3 Grad mehr aufgezeigt werden, müssen nicht nur bekannt, sondern eben auch mächtig gemacht werden. Und dort, wo gehandelt wird, wird schließlich auch die Frage der Sprache beantwortet. Denn im Handeln erwachsen Geschichten, die man weitererzählen möchte. Geschichten über Menschen und die Natur, die persönlich sind, emotional und informiert gleichermaßen, die Wege aus der Schockstarre aufzeigen.

Die Klimakrise ist keine Frage des besseren Argumentes, die Gründe für radikalen Klimaschutz sind da. Für die einen mag den Ausschlag geben, dass es schön wäre, das Projekt Menschheit noch eine Weile weiterzuverfolgen. Für die anderen die Tatsache, dass die Klimakrise absehbar sehr, sehr teuer wird. Und am Ende des Tages sprechen wir über Macht. Wer hat die Macht, zu zerstören, und wo wächst die Macht, die Zerstörung aufzuhalten?

LUISA NEUBAUER ist Klimaaktivistin. Im Oktober 2022 erschienen (mit Dagmar Reemtsma): Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich. Tropen 2022 – 224 Seiten, 24 Euro

Dieser Beitrag ist im September 2022 in taz FUTURZWEI N°22 erschienen.

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