Loveparade-Desaster: Schuld ist immer der andere
Nach der tödlichen Enge bei der Loveparade erheben Innenministerium und Polizei schwere Vorwürfe gegen den Veranstalter Lopavent GmbH.
Nach der Duisburger Loveparade machen sich Polizei, die Stadt als Genehmigungsbehörde und die Organisatoren des Mega-Raves weiter gegenseitig für die Katastrophe verantwortlich. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) verteidigte am Mittwoch den Einsatz der Polizei: Die Verantwortung für die tödliche Enge in der Mitte des Zugangstunnels liege nicht bei seinen Beamten, sondern beim Veranstalter, der Berliner Lopavent GmbH des Unternehmers Rainer Schaller, glaubt Jäger. Das Ordnersystem des Veranstalters sei "zusammengebrochen", sagte der Minister bei einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Landtag.
Zuvor hatte auch der Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei, Dieter Wehe, schwere Vorwürfe gegen die Lopavent erhoben. Schon am Morgen hätten sich erste Fans vor dem Tunnel geballt, der den einzigen Zugang zu dem alten Güterbahnhof bildete, auf dem der Techno-Umzug stattfinden sollte. Statt wie besprochen um zehn habe der Veranstalter die "Einlassschleusen" erst um kurz nach zwölf geöffnet. Dadurch sei von Anfang an ein hoher Druck auf die Eingänge an beiden Seiten des Tunnels entstanden. Grund für die Verzögerung seien "letzte Planierarbeiten" gewesen - das Loveparade-Gelände glich zuvor einem Trümmerfeld.
Auch seien sogenannte Pusher, die dafür sorgen sollten, dass sich die Menschen gleichmäßig über das eigentliche Festivalgelände verteilen, erfolglos geblieben, sagte Nordrhein-Westfalens oberster Polizist. Um 16 Uhr 31 hätten die privaten Ordner dann Teile der Schleusen erneut geöffnet, was den Druck auf die vorn stehenden Raver noch weiter erhöht habe. Organisator Schaller hatte dagegen die Polizei für das Öffnen der Eingangssperren verantwortlich gemacht und betont, für seine Version gebe es "mehrere Zeugen".
Die Zahl der Todesopfer hat sich inzwischen auf 21 erhöht - 13 Frauen und 8 Männer. Die Untersuchungen der Gerichtsmedizin haben ergeben, dass alle infolge massiver Brustquetschungen erstickt sind. "Anhaltspunkte für Stürze aus großer Höhe als Todesursache haben sich nicht finden lassen", erklärte die Staatsanwaltschaft.
Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland wird am Samstag nicht an der Trauerfeier in der Duisburger Salvatorkirche teilnehmen. Er wolle die Gefühle der Angehörigen nicht verletzen. Bereits am vergangenen Sonntag war Sauerland bei einem Besuch im Todestunnel von Trauernden ausgebuht worden, mittlerweile erhält der Christdemokrat sogar Morddrohungen.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat Sauerland indirekt zum Rücktritt aufgefordert. Sie nehme zur Kenntnis, dass er im Amt bleiben wolle, aber es werde "am Ende auch um politische Verantwortung gehen". Einen Rücktritt lehnt Sauerland bisher ab. Wenn er die Verantwortung für die Tragödie übernähme, würde er für den Rest seines Lebens für die Todesopfer verantwortlich gemacht, sagte er. Sauerland glaubt weiterhin, keine Fehler begangen zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste