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Lost in Schauspielhaus

■ Nach, neben und vor vielen anderen Häusern hat jetzt auch das Bremer Theater Yasmina Rezas „Kunst“-Nachfolger „Drei Mal Leben“ eingerichtet. In der Fassung Peter Wittenbergs schleppt sich die Komödie dahin

Mit dem Slogan „Geteilte Freud', doppeltes Leid“ nahm der Sänger Heinz-Rudolf Kunze einmal das Glücksversprechen der Zweisamkeit auf die Schippe. Für die gerne als Erfolgsautorin bezeichnete Französin Yasmina Reza scheint diese Beschreibung die reinste Untertreibung zu sein. „Freude gleich null, Leid gegen unendlich“ könnte die Formel lauten, mit der die Verfasserin der Komödie „Kunst“ in ihrem neuen Stück „Drei Mal Leben“ zwei Ehepaare zwischen 40 und 50 aufeinander hetzt. Wie beim Vorgängerstück geschieht das alles aber zur besten Unterhaltung des Publikums.

Anfangs lümmelt das Paar Henri und Sonja auf dem Sofa. Sie studiert Akten, er kümmert sich um den quengelnden sechsjährigen Sohn, der aus dem Kinderzimmer rufend nach Keksen, Äpfeln und Schmusen verlangt. Bevor das Eheglück an der Frage zerbrechen kann, ob nach dem Zähneputzen noch etwas gegessen werden darf, klingelt es an der Tür: Hubert und Inès Finidori kommen einen Tag früher als erwartet zum Abendessen. Statt eines Menüs gibt es ein paar Knabbereien und reichlich Weißwein.

Mit deutlichen Anleihen an das Boulevard-Theater konstruiert Yasmina Reza nach „Kunst“ auch in „Drei Mal Leben“ ein bürgerliches Katastrophenszenario. Im fortschreitenden Sancerre-Konsum lösen sich alle Konventionen auf, der Bourgeois aus dem Intellektuellen-Milieu zeigt seine Fratze. Auslöser des verbalen Schlagabtauschs mit Beleidigungen und anderen Boshaftigkeiten ist eine Neuigkeit: Der Astrophysiker Henri will nach drei Jahren endlich wieder etwas veröffentlichen, doch Hubert offenbart ihm, dass jemand anderes ihm zuvorkommen wird. Den größten anzunehmenden Unfall in einer Wissenschaftlerkarriere lässt Yasmina Reza nicht bloß einmal, sondern dreimal geschehen: Erst depressiv, dann aggressiv und schließlich wohl gespielt und übertrieben selbstbewusst reagiert Henri auf die Nachricht – der Abend scheitert jedoch in allen drei Fällen.

Genau 28 Inszenierungen von „Drei Mal Leben“ listet der Münchener Desch-Theaterverlag bis 2002 allein für den deutschsprachigen Raum auf. Seitdem „Kunst“ einschlug wie ein Meteorit, spielen namhafte SchauspielerInnen wie Udo Samel, Ulrich Mühe, Suzanne von Borsody oder Leslie Malton Reza-Figuren. In dieser Reza-Manie darf freilich auch das Bremer Theater nicht fehlen. Gut sieben Jahre nach seinem ersten Bremer Gastspiel als Regisseur der „Jelena Sergejewna“ richtet Peter Wittenberg die Tragikomödie im Schauspielhaus ein.

Bis auf ein flaches Podest mit Sofa, Sessel und Couchtisch ist die Bühne leer. Die Stimmen hallen, die Figuren machen allein so schon einen reichlich verlorenen Eindruck. Ach ja: Astrophysik! They are lost in space! Ho ho! So kommt die Bremer Inszenierung zu ihrer Metapher, allein sie kommt zu keinem rechten Höhepunkt.

In wechselnden Konstellationen verbünden, verstoßen und verfeinden sich die vier Figuren im Stück, die allesamt nicht bloß in Paris, sondern auch im Steintor wohnen könnten.

Dieses Wechselspiel im möglicherweise überschätzten, auf jeden Fall aber ziemlich raffiniert gebauten Stück könnte man mit der Kälte und entlarvenden Bosheit Claude Chabrols in Bewegung setzen. Man kann es sicher auch boulevardesk oder überzogen auf die Pointen hin inszenieren. Doch im Schauspielhaus passiert weder das eine noch das andere. Es passiert – ja, was eigentlich? Egal, denn über weite Strecken bleiben einem die vier da oben auf der Bühne total gleichgültig.

Der Bremer Henri alias Lukas Holzhausen wirkt schon von Anfang an so wurschtelig und fahrig, dass er durch die schlimme Nachricht kaum aus der Bahn geworfen werden kann. Wild gestikulierend fährt er die Figur an die Wand. Da ist nichts zwischen ihm und seiner Sonja (sonst selbst in Minirollen brillant, hier eher blass: Irene Kleinschmidt), und folglich kann auch nichts zerstört werden.

So nimmt das Geschehen schleppend seinen Lauf. Wenn Detlev Greisner als Hubert gelegentlich mit großem Vergnügen das Arschloch spielt oder Wiltrud Schreiner als seine Gattin Inès im Suff abdriftet, sind das die kleinen Freuden dieses pointenarmen Abends. Auch wenn das Publikum offenbar amüsiert war, ist das für eine Schauspielhaus-Produktion viel zu wenig.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 4., 9., 16., 22. und 27. Juni, 1. und 6. Juli jeweils um 20 Uhr im Schauspielhaus.

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