London plant Twitter-Oper: Zwitscherlibretto #royalopera
Das königliche Opernhaus London plant, im September eine "Volksoper" aufzuführen, deren Texte vollständig aus Twitter-Botschaften bestehen.
Der Ort für das Vorhaben ist offensichtlich gut gewählt: In keiner Stadt der Welt wird mehr gezwitschert als in London, wie Twitter-Gründer Evan Williams erst kürzlich in einem BBC-Fernsehinterview betonte. Die britischen Hauptstädter scheinen einen besonders großen Drang zu haben, dem restlichen Planeten per Internet mitzuteilen, was sie gerade tun. Dafür ist der 140-Zeichen-Kommunikationsdienst natürlich bestens geeignet, schließlich sollten für die Bewohner der viel beschäftigten "City" auch teil-narzisstische Selbstbestätigungen nicht zu viel Zeit kosten.
Wem es nicht mehr ausreicht, dass seine Ergüsse allein Tausenden Twitter-Followern vorgelegt werden, kann nun sehr bald seine Tweets zu Kultur erheben. Das Royal Opera House in Covent Garden plant, Teile einer Oper, deren Libretto von etablierten Solisten aufgeführt werden sollen, allein von Twitter-Nutzern gestalten zu lassen.
Teile des neuen Werkes, dessen Musik unter anderem von der Komponistin Hellen Porter stammt, aber auch bekannte Melodien von "Don Giovanni" bis "Götterdämmerung" enthält, sollen im September bei einem Festival vorgeführt werden - kostenlos und gesponsert von einer Unternehmensberatung. Wer mitmachen will, muss sich allerdings beeilen, denn es geht aktuell Schlag auf Schlag. Aufzug eins, Szene eins war nach 40 Tweets bereits abgeschlossen, inzwischen hat man längst Aufzug zwei, Szene zwei erreicht. Weitere Vorschläge werden unter dem Hashtag "#youropera" gerne entgegen genommen, so das Management der Oper. Man habe vor, "eine Oper des Volkes" zu schaffen, an der jeder und jede mit eigenem Einfallsreichtum teilhaben dürfe.
Das bislang vorgelegte Material wirkt ein wenig bizarr. William, eine der Hauptpersonen, wurde von einer fiesen Vogelbande (Vögel = zwitschern, merken Sie's?) in einen Turm entführt, die sich rächen wollen, weil er ihnen Leid angetan hat. Hans hat versprochen, ihn zu retten. Eine bislang noch namenlose Frau ist dabei, in ihrem Biochemie-Labor einen Zaubertrank herzustellen, mit dessen Hilfe Menschen mit den Vögeln reden können. Dieser etwas merkwürdige Twist führte anfangs dazu, dass den Mittwitterern nichts mehr einfiel - inzwischen hat sich der Kreativitätsstau allerdings gelöst.
Die Opernkritik hält sich mit positiven Bewertungen bis dato allerdings noch zurück. Jeremy Pound, stellvertretender Chefredakteur des "BBC Music Magazine", hält das Vorhaben für unfallträchtig. "Immer dann, wenn es eine neue Modewelle gibt, kommt jemand aus der Kunst und greift sie an den Hörnern", sagte er dem "London Evening Standard". Es sei zu befürchten, dass man das Royal Opera House nicht mehr ernst nehme. Andere britische Kritiker freuten sich hingegen, dass das Opernhaus nun endlich auch mal das Volk zu Worte kommen lasse.
Es ist nicht der erste Versuch, außerhalb des Mediums Internet Geld mit Twitter zu verdienen. Aktuell sind mindestens zwei Druckwerke in den USA in der Pipeline, bei denen die Autoren schlicht die hübschesten Botschaften einsammelten, um sie dann zwischen zwei Buchdeckel zu bannen - gegen ordentliche Autorenvorauszahlungen, versteht sich. Schließlich ist Twitter trendy.
Neulich wollte sogar eine bekannte Produktionsfirma eine eigene TV-Reality-Sendung rund um den Kurznachrichtendienst implementieren, was der allerdings schließlich dankend ablehnte (übrigens nicht per Tweet, sondern über einen Eintrag im Firmen-Weblog, der deutlich länger war als 140 Zeichen).
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