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Lokalpresse in DIN A6

■ Der Flyer und die Folgen: Mittlerweile gibt es Minimagazine für die türkische, die schwule und für die politisch korrekte Partyszene

Was klein ist, setzt sich durch. Der Flyer jedenfalls – das kostenlose Clubmagazin, das in jede Jackentasche paßt – hat sich durchgesetzt. Nicht nur, daß das in Berlin konzipierte Minimagazin inzwischen in fast allen deutschen Großstädten Ableger aufweist – Köln, München und Hamburg haben längst lokale Flyer-Zweigstellen – und sich der herausgebende Zeitbank-Verlag zum kleinen Szene- Imperium gemausert hat. Vor allem aber ist es den Machern gelungen, ein völlig unübliches Format, DIN A6 nämlich, unverrückbar im engen lokalen Pressemarkt zu verankern und so eine wahre Epidemie der Schrumpfschrift-Heftchen ausgelöst zu haben.

So etabliert ist der Flyer, daß die Nachahmer bereits Legion sind und der Grad der Ausdifferenzierung im Genre Partyführer beträchtlich ist. Der Partysan, in München geboren und per Franchise-Verfahren im weiteren Bundesgebiet verbreitet, war wohl als erstes Heft von Anfang an als eine Art Gegen-Flyer angelegt. Schon im Sommer 1996 erschien die erste Regionalausgabe der Party-Postille für Berlin: Inhaltlich noch flacher als das Vorbild, sorgte das Fachblatt für abgestumpfte Raver aber nur einmal für (negatives) Aufsehen: als es sich gleich in seiner zweiten Nummer im rassistischen Tonfall über tamilische Rosenverkäufer mokierte. Danach wurde es recht still um das bunte Blättchen.

Kürzlich enterte jedoch eine neue Besatzung das lange vor sich hindümpelnde Heft, und seitdem ist es, zumindest auf den zweiten Blick, kaum wiederzuerkennen: Die Texte zwischen der obligatorischen Reklame für DJ-Mischpulte, OCB-Blättchen und Clubwear sind plötzlich frei von peinlicher Szene-Selbstbeweihräucherung, statt dessen lesbar, reflektiert und selbstironisch. Das neue Autorenkollektiv des Partysan unterscheidet sich nicht nur durch professionellen Schreibstil von anderen, häufig auch studentischen Szenepostillen-Schreibern – sie sind vor allem politisch voll korrekt. Und gebildet: Das neue Goldie-Album wird mit dem Grass-Roman „Ein weites Feld“ verglichen, und zum Pop-Duo Air heißt es im augenblinzelnden Jungle World-Jargon: „Ideologisch betrachtet ist das bourgeoiser Pärchenpop – also fragwürdig.“ Insider-Scherze über Klassenkampf in Clubland – ob das die Raver raffen?

Eher von der Multikulti-Front aufgerollt wird das weite Partyfeld dagegen von VISUM, einem weiteren Gratisheftchen für die Hosentasche. Der Name ist programmatisch, denn „wer braucht ein Visum?“ fragt das Editorial, um gleich die Antwort zu geben: „viele Ausländer, die in Deutschland geboren sind und lange hier leben“. Solche stecken natürlich auch hinter VISUM.

„Turkish city life“ verspricht das Titelblatt großspurig, drinnen finden sich, lose aneinandergereiht, Steckbriefe türkischer Stars und Sternchen, Stadtporträts zu Istanbul und Amsterdam, eine Auswahl deutsch-türkischer Internetseiten, die Rezension eines türkischsprachigen Romans, Horoskope, ein Kochrezept für Fleischspieße und – wer hätte das gedacht? – die Geschichte des Döner Kebabs, fünf Seiten lang. Nicht unbedingt originell und in einem Punkt sogar ganz in alter Tradition der türkischen Presse stehend: Das nackte Covergirl ist keine Türkin.

Trotzdem ist VISUM natürlich immer noch um vieles besser als der Durchschnitt der lokalen türkischsprachigen Presse, schließlich haben die Autoren ein sympathisches Anliegen, bemühen sich um Seriosität und Stil. Letzteres besonders: Zwischen Schnappschüssen aus türkischen Clubs finden sich Anzeigen für klassischen Designerschick aus der Türkei – ein deutlicher Kontrast etwa zur Modestrecke im Partysan, deren Ästhetik ein betont derangiertes Flohmarkt-Dandytum kultiviert. Wo sich in VISUM eine aufstrebende türkischstämmige Angestelltenkultur in Markenmode von der Stange wirft, fläzt sich im Partysan der Waldorfschul-Absolvent bohemehaft in Boutiqueklamotten, die absichtsvoll so schlecht sitzen, als wären sie direkt aus dem Humana-Kleidersack geklaut – nur soviel zum Zusammenhang von Stil und Schicht.

Für die Freunde der Latex- Mode wiederum gibt es mit Oops jetzt auch ein Magazin im Miniformat. Vom großen Bruder Siegessäule unterstützt, bietet das handliche Heftchen mit einem „Club Zipper“ genannten Partykalender die wichtigsten Ausgeh-Infos für die schwulen Subszenen der Stadt. Außerdem dabei: ein Interview mit Schlager-DJ Doris Disse, ein Bericht über die Teddy-Awards bei der Berlinale und Coming-out- Erfahrungsberichte, flankiert durch Anzeigen von Sauna-Clubs, Kondomherstellern und den notorischen 0190-Nummern für „Talks mit Gays aus Berlin und dem Umland“ – das schwule Stadtmagazin in stark komprimierter Form.

In den einschlägigen Cafés und Läden liegen außerdem noch zwei weitere Gratisheftchen aus: MIK ZWO, das Mini-Fanzine für die große HipHop-Familie, und GiveAway, ein weiterer Gratisguide mit gewollt kultiger Gimmick-Zugabe (Ahoi-Brause, Zahnbürsten etc.) – das Yps-Heft für die Neunziger. Zählt man diese beiden hinzu, dann ist der Markt für kleinformatige Party-Publikationen in letzter Zeit ziemlich eng geworden.

Notgedrungen reagiert der Flyer nun auf die Konkurrenz: Zum dreijährigen Jubiläum steht ein umfassender Relaunch des „kostenlosen Stadtmagazins“ kurz bevor, mit dem der kleine Flyer groß rauskommen will. Daniel Bax

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