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Archiv-Artikel

Lohengrin kommt im Jet

Nach 10 Jahren wieder eine Wagner-Oper in Aachen. Ludger Engels inszeniert am Stadttheater mit Videoleinwand. Doch das spürbar euphorisierte Orchester ist der eigentliche Held des Abends

VON REGINE MÜLLER

In Richard Wagners „Lohengrin“ wird immer wieder das Element der Luft beschworen: „Elsa“ schickt ihr flehendes Stöhnen in die Lüfte, später betet sie dieselben an. Das mythische Wappentier der Oper ist der weiße Schwan und von den Lüften spricht auch die Musik. Das flirrende Vorspiel ist nichts anderes als eine schwebende Luftmusik, körperlos und nicht greifbar.

Das hat am Aachener Theater der Regisseur Ludger Engels wohl genauso gehört und ein überraschendes Bild dafür gefunden. Denn wenn sich dort der Vorhang öffnet, erlebt man auf einer Videoleinwand den Start eines Flugzeugs aus der Cockpitperspektive. Mit der Beschleunigung auf der Startbahn wächst das Orchestercrescendo, der Vogel hebt ab, der Himmel weitet sich und da greift im Orchester der Bläserchoral mächtig aus. Schließlich blickt man auf eine weite, flache Landschaft, ein Fluß kringelt sich in der Ferne. Könnte das Brabant sein?

Nach mehr als zehn Jahren Wagner-Abstinenz traut sich das Aachener Theater erstmals wieder an eine Wagner-Oper. Eine Herausforderung, die einem Haus dieser Größenordnung das Äußerste abverlangt. Allein die mächtigen Chöre wollen besetzt sein, von den exponierten Solopartien ganz zu schweigen. Und akustisch ist das Haus eigentlich zu klein, um den Klangmassen Raum und Weite zu geben. Es entsteht eher ein manchmal knalliger und unpoetischer Klang, aber man erlebt so Wagner ohne Weichzeichner. Der junge Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch kennt alle Tücken des Hauses und hat die Zügel den ganzen Abend über sicher in der Hand. Das spürbar euphorisierte Orchester spielt beinahe tadellos und ist der eigentliche Held des Abends. Ein paar Koordinationsprobleme mit den Fernbläsern und Chören waren dem Premieren-Adrenalinschub geschuldet.

Nach dem Flugzeugstart kehrt Engels wieder zurück auf die Bretter des Theaters und lässt Wagners romantische Oper zu großen Teilen auf ziemlich nackter Bühne (Ric Schachtebeck) und in nicht näher bestimmter Gegenwart spielen. Der Fluggast im Cockpit dürfte Schwanritter Lohengrin selbst gewesen sein, den Schwan jedenfalls bringt er in einer korrekten Tiertransportbox mit. Smart wie ein Krisen-Coach kommt er daher, um Elsa, deren Fall ganz amtlich mittels Aktenordnern verhandelt wird, aus der Bedrängnis zu helfen. Als er dies lässig erledigt, sieht das Chorvolk sogleich den Helden in ihm und schwenkt die entsprechend beschrifteten Schilder. Später sieht man auf ihnen auch „Heil“ und „deutsch“ geschrieben, beschönigend wird die Sache jedoch in Richtung „zu Gast bei Freunden“ abgeschwächt.

Norbert Schmittberg singt den Titelhelden mit lyrischem Impetus, doch unfreien Piani, während Irina Popovas für die Elsa eigentlich etwas zu leichter Sopran sich zu intensiver Leuchtkraft steigert. Der Regie gelingt über weite Strecken eine dichte und stimmige Personenregie, auch wenn der heiße Kern dessen, was er eigentlich erzählen will, nicht recht deutlich zu werden vermag. Zwar wird der eingeflogene Held recht eindeutig eingemeindet – es hängen vor der enthüllenden Gralserzählung Fahnen vom Schnürboden, auf denen „deutsch“ steht. Doch schon zu Beginn der Erzählung fallen sie zu Boden: Denn Lohengrin stammt aus „fernem Land“, von der Burg Montsalvat, die wohl in Persien, mindestens aber in Spanien zu verorten ist. Nichts da mit deutschem Held. Und so schnappt er sich wieder seinen Schwan, aus dessen Kiste alsbald Elsas verschollener Bruder Gottfried klettert, auf den sich sofort die giftige Ortrud stürzt, um ihm das böse Spiel mit dem Schwert beizubringen. Ein pessimistisches Ende also, das dem Regieteam einige Buhs einbrachte. Dennoch ein großer Abend und eine Alternative zum aktuellen Kitsch-Lohengrin in Köln, den Klaus Maria Brandauer dort so teuer in den Sand setzte.

25. 02. 2007, 18:00 UhrInfos: 0241-4784244