: Lofoten: Das Meer ist leergefischt Ökologische Katastrophe durch Überfischung / 90 Prozent der Seevögel sind verschwunden / Die Küstenbevölkerung verliert ihre Existenzgrundlage
Lofoten: Das Meer ist leergefischt
Ökologische Katastrophe durch Überfischung / 90 Prozent der Seevögel sind verschwunden / Die Küstenbevölkerung verliert ihre Existenzgrundlage
Aus Stamsund Reinhard Wolff
Ein Katastrophenjahr. Die Lokalzeitung 'Lofotposten‘ hat seit Wochen diese Botschaft in immer neuen Versionen auf der Titelseite. Und es ist ganz sicher keine Übertreibung: 100.000 Tonnen war jahrzehntelang die Menge der gefangenen Fische in einer „normalen“ Lofotensaison. 5.700 Tonnen sind es in diesem Jahr.
Die Küstenfischerei Nordnorwegens steht vor einer ökonomischen Katastrophe. Für viele Meeresforscher, die schon seit Jahren gewarnt haben, zwangsläufige Folge einer umfassenden ökologischen Katastrophe. Irgendwann mußte die mindestens seit den siebziger Jahren verschärfte Überfischung die ökologische Balance aus dem Gleichgewicht bringen. Eine Fischart nach der anderen ist in den letzten Jahren aus den Netzen der Fischer fast vollständig verschwunden. Die Bestände sind extrem dezimiert, fast ausgerottet. Der Dorsch war bislang immer übriggeblieben. Wenn auch er endgültig wegbleibt, ist die Küstenfischerei am Ende.
Dabei ist es nicht die Küstenfischerei, die für das leergefischte Meer verantwortlich ist. In erster Linie sind es die großen Fabrikschiffe, die weit draußen vor der Küste noch den kleinsten Fisch aus dem Wasser holen, radikal wegfischen, noch bevor dieser die küstennahen Laichplätze zur Fortpflanzung erreicht. Und dies das ganze Jahr über. Die Lofotensaison war dagegen nur eine Fangzeit über wenige Wochen. Ältere Fischer wissen noch die Geschichten zu erzählen, die die Lofotenfischerei so weltberühmt gemacht haben: ein Meer, das von Fisch geradezu „kochte“, so dicht drängten sich die Dorsche. Eine Flotte von Tausenden kleinen Booten auf der Jagd. Bis zu 30.000 Fischer aus ganz Nordeuropa, Deutschland und England. Darüber liest man nur noch in den Schulbüchern. „Was ich zur Zeit fange, reicht nicht einmal aus, um die Raten bei der Bank zu zahlen.“ So wie Ralf Andreassen geht es den meisten Fischern. „Es reicht gerade für die Netze und das Benzin. Aber ich habe keine andere Arbeit. Was soll ich machen?“ Verkaufsanzeigen von Booten stehen im Anzeigenteil der 'Lofotposten‘ jetzt auf dem Platz, wo in den letzten Jahren die Fischfabriken nach Arbeitskräften suchten. Aber wer kauft schon ein Boot? Wahrscheinlich werden bald Bekanntmachungen über Zwangsversteigerungen die Anzeigenspalten füllen.
„Die Forscher lügen uns etwas vor“, davon ist Andreassens Kollege Reidar Justad überzeugt. „Als es vor zwei Jahren plötzlich kaum noch Dorsch gab, war angeblich das zu kalte Wasser schuld. Im letzten Jahr war's dann die Geschlechtsreife der Fische, die sich um ein oder zwei Jahre verschoben haben soll. Für dieses Jahr hatten sie uns wieder normale Fänge vorhergesagt. Und jetzt?“ Einar Larsen, Chef der staatlichen Fischkontrolle auf den Lofoten in Svolvaer, scheint ebenfalls zumindest unsicher geworden zu sein. Auch wenn er einen Teil der Schuld auf das angeblich zu kalte Wasser schieben will: Es gebe im nördlichen Eismeer durchaus noch Dorsch, er komme nur nicht herunter bis zu den Lofoten. Außerdem seien da ja auch noch die vielen Seehunde. Ja, die Seehunde. Sie mußten schon im letzten Jahr herhalten, um die Fischer zu beruhigen. Als sie in ungewöhnlich großen Mengen vor der Küste auftauchten und die wenigen Fische den Fischern vor den Netzen wegfraßen. Dabei war schon diese Seehund„invasion“ nur ein weiteres Alarmzeichen für das Ausmaß der schon toten, leergefischten Meeresgebiete. Die Seehunde waren aus dem Eismeer halb verhungert vor die norwegische Küste gekommen, weil es auch dort, viel weiter nördlich, nicht mehr genügend Fisch gibt. Während die Zehntausende, die verhungert an Land gespült wurden, noch für einiges Aufsehen sorgten, scheint sich unter den Seevögeln ein weniger spektakuläres, aber noch erschreckenderes Sterben zu vollziehen. Eine ganz neue Zählung des Seevogelbestandes auf der Lofoteninsel Rost hat ergeben, daß 90 Prozent „verschwunden“ sind. Rost war einmal eine der größten Vogelkolonien an der norwegischen Küste.
Das leergefischte Meer ist nach der Ansicht unabhängiger Meeresforscher in gleicher Weise für Vogelsterben, Seehund„invasion“ und das Verschwinden großer Fische wie der Dorsche verantwortlich. „Ich habe einige Jahre auf einem Fabrikschiff gearbeitet“, berichtet Ralf Andreassen. „Wenn du siehst, wie die in einer langen Reihe hintereinander im Wasser liegen und noch die kleinsten Fische mit ihren tiefreichenden Netzen herausholen, weißt du, warum irgendwann nichts mehr da ist.“ Die Regierung müsse die Fischfangquoten neu verteilen, die Fänge der Fabrikschiffe begrenzen zugunsten der Küstenschifferei.
Dies wird Oslo aber mit einiger Sicherheit nicht tun. Die Fabrikschiffe sind es gerade, die den Fischfang für die Fischindustrie lohnend gemacht haben. Sie lasten mit ihren regelmäßigen Anlandungen, die über das ganze Jahr verteilt sind, die modernen Fischverarbeitungsbetriebe erst lohnend aus. Und auf dem Fisch beruht - neben dem Erdöl - nach wie vor die norwegische Wirtschaft: 95 Prozent werden exportiert.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des mehr und mehr leergefischten Nordatlantiks haben bislang auch erst die Küstenfischer zu tragen. Die Reeder der großen Fabrikschiffe hatten 1987 sogar noch ein Rekordjahr, was die Fänge angeht. Noch. Denn nach Auffassung unabhängiger Meeresforscher sind die Fischfangquoten so stark überhöht, gehen so stark an den Bestand, daß die goldenen Jahre bald ein Ende haben dürften.
Die Eigner der Fabrikschiffe sitzen in Bergen und Alesund, in Südnorwegen also. Auch die Fischfabriken siedeln sich wegen der besseren Verkehrsverbindungen immer mehr dort an. Die Krise der Küstenfischerei beschleunigt deshalb auch die Abwanderung der Bevölkerung in den Süden. Auch Ralf Andreassen denkt schon ans Aufgeben. „Ich habe mein Leben lang im Freien gearbeitet. Aber wer weiß, vielleicht stehe ich bald in einer Fabrikhalle.“
Die in den Süden abwandern, können tatsächlich damit rechnen, Arbeit zu finden. Bei einer Arbeitslosenrate von etwa zwei bis drei Prozent in Norwegen kein großes Problem. Recht hoffnungslos sieht es da für die aus, die nicht weg wollen oder können. Die nur halbherzig betriebene Regionalpolitik hat es nicht vermocht, im Norden neben der Fischwirtschaft eine überlebensfähige Alternative aufzubauen.
Leerstehende Häuser, Gehöfte, verfallende Kaianlagen und ganze Geisterdörfer sind in Norwegen schon lange keine Seltenheit mehr. Es werden bald noch mehr sein.
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