: Loderndes Feedback
Nach gut 20 Jahren Dienstzeit zu zurückgelehnten Herrschaften des Noise-Rock geworden? „Sonic Youth“ gastieren nach Jahren wieder in Hamburg
Vielleicht hat in den Interviews ja mal ein Gegenüber diese Frage gestellt: Ob nicht, angesichts von gut 20 mal mehr, mal weniger erfolgreichen Jahren im Indierock, dieser Name mal zu überprüfen wäre: Sonic Youth. Denn mögen die inzwischen halbwegs gesetzten Damen und Herren aus New York den Namensbestandteil auch aus Begeisterung für einen Vertreter des Dub-Reggae angenommen haben – fand das darin zum Ausdruck kommende, lodernd Aufbegehrende nicht seine Entsprechung in der Musik, über die Band und Welt in Verbindung traten?
Dementsprechend, so ließe sich argumentieren, müssten sich Sonic Youth wirklich ein weniger vollmundiges Etikett überlegen: Unlängst um den Post-Rock-Guru und Multiinstrumentalisten Jim O‘Rourke dauerhaft zum Quintett erweitert, ist schon seit einigen Alben (um nicht zu sagen: gut ein Jahrzehnt) eher zurückgelehnte Gelassenheit eingekehrt, wo einmal, ganz kurz, Zäsur und Bildersturm propagiert wurde. Durch Punkrock und die Theorien des Neutöners John Cage beeinflusst waren die Texte, die Sonic Youth zu Beginn der 80er Jahre, skandierten. Doch mochte Thurston Moore, bis heute Sänger und Gitarrist der Band, auch aufgekratzte Zeilen über eine Zukunft im Chaos vorbringen: Das eigentlich Beeindruckende lieferten doch die zweckentfremdeten Gitarren, ihr loderndes Feedback und die zuweilen völlig entfesselte Rhythmusgruppe.
Was Sonic Youth von den fahlen, von Drogenchic und zuweilem antimodernem Avantgarde-Habitus faszinierten Kollegen des „New York Noise“ unterschied – und somit wohl Voraussetzung war für den bewegten Karriereverlauf –, war ihre Wandlungsfähigkeit: Immer wieder erschlossen sie sich neue popkulturelle Felder, entdeckten Mitte der 80er Jahre Glam, Trash und Pop und entkamen so dem langsamen Vergessenwerden in der Nische von Düsternis, Geschrei und Metallbearbeitung.
Auf dem Indielabel SST veröffentlichten Sonic Youth im besagten Jahrzehnt einige, gelinde gesagt, Meilensteine des amerikanischen Indie-Rock; eine Majorvertragsunterzeichnung später erkannten sie die wachsende Relevanz von HipHop bereits zu dessen Golden-Era-Zeiten.
Als im Zuge von Grunge-Hysterie und dem Heranreifen von Alternative Rock zu bunt gefärbtem Mainstream eine gewisse Popularität erreicht war, betätigten sich Sonic Youth wiederholt als Talentscouts und Fürsprecher, ließen mit einem gewissen Händchen für Strategie und Distinktion Nachwuchsbands am Nimbus ihrer Coolness teilhaben. Böse Zungen bezeichneten sie auch als Vampire, die überall andocken, wo es frisches Blut gibt. Letztes solcher Hipnessopfer wäre indes die E-Musik des 20. Jahrhunderts, der sich die Band, immer offenherziger im Umgang mit dem eigenen Bildungsbürgertum, unlängst mit einem Konzeptalbum widmete.
Live wird die Band sich auf ihr jüngstes Album Murray St. konzentrieren: wiederum in der Schwebe gehalten zwischen Song und ausuferndem Drone, zeigen sich die Eminenzen des, na ja, Noise-Rock vergleichsweise in guter Form, was für das erste Hamburgkonzert seit sechs Jahren Gutes verheißen mag.
Alexander Diehl
mit Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Mittwoch, 21 Uhr, Große Freiheit
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