: Litho mit Biographie-Rezitation
■ Quasi-Stimmung des 17. Jahrhunderts: Cornelia Ehrlich inszeniert das genreübergreifende „Kunststück“ Warum ich Rubens so liebe Altonaer Theater
Sich nicht von den Dünnen dieser Welt tyrannisieren lassen, „Big is beautiful“ und Wohlfühlgewicht: Das sind doch alles nur platte Mutmacher angesichts der Übermacht des anorektischen Frauenmodells. Und helfen tun sie nichts, denn Fettleibigkeit ist und bleibt bis auf weiteres total uncool. Genau betrachtet ist die so genannte „Rubensfigur“ allerdings weniger barockes Relikt, als die unerbittliche Wahrheit jenseits des kaum erreichten 90-60-90-Ideals.
Die fast aufdringliche Körperlichkeit und überbordende Sinnlichkeit bei den Bildern des Flamen Peter Paul Rubens hat die Regisseurin Cornelia Ehrlich und den Künstler Artur Dieckhoff nach mehrfacher guter Zusammenarbeit zu einem neuen Kunststück bewogen: Warum ich Rubens so liebe heißt die Produktion, die die Freunde des Altonaer Theaters e.V. auf der Foyerbühne in der Museumsstraße veranstalten. Alle Sinne verspricht das Kunststück zu fordern und strebt so nach einer Synthese der verschiedenen Künste. Zwar lautet der Untertitel Ein barocker Abend, jedoch geht es Ehrlich und Dieckhoff nicht darum, lediglich die Stimmung aus dem 17. Jahrhundert wieder aufleben zu lassen.
Die beginnt schon mit der angenehm ungewohnten Atmosphäre im kleinen Saal des Theaters: Mehrere Staffeleien, Druckpressen, Maler in Arbeitskleidung sowie ein Aktmodell bekunden ateliertypische Betriebsamkeit. Gestattet wird dem Publikum hier der seltene Blick über die Schulter der Künstler, die Teilnahme an der Entstehung eines Kunstwerks. Doch nicht nur das: „Rubens wusste als Erster, dass sich mit Repros viel Geld machen lässt“, berichtet Dieckhoff. Damals noch in der Technik des Kupferstichs, ermöglichte dann 200 Jahre später die Erfindung der Lithographie erstmals farbige Reproduktionen. Holzschnitt, Radierung und Lithographie sind die Drucktechniken, die an den drei Abenden nicht nur vorbereitet, sondern vor allem auch vorgeführt werden. Nach etwa eineinhalb Stunden kann man dann sogar pressfrische Graphiken erwerben.
Die Umrahmung des Schaffensprozesses, der sich natürlich über alle Aufführungen erstreckt, bilden Literatur und Musik: Während Ivan Prilepcanskis Violine für Auf- und Zwischenspiel sorgt und sich dabei von Bach zu modernen Komponis-ten wie Schnittke bewegt, ist Ralf Hutter als Conférencier mit jägergrünem Wams und darauf abgestimmtem Federhut für den Fortgang der Handlung zuständig und liest aus Dieckhoffs halbbiographischer Textcollage. In diesen „Kindheitserinnerungen eines Lithographen“ finden sich neben minutiös geführten Tagesabläufen so nette Hinweise wie: „Meine Musen waren alle dicker als ich.“ Damit jedoch niemand nur aufs Satthören und Sattsehen angewiesen ist, lässt es sich das Publikum an langen Tafeln in der Saalmitte bei reichlich Wein und Käse gut gehen. Fettarmer Harzer Roller dürfte nicht im Angebot sein. Liv Heidbüchel
Premiere: Sonntag, 28. Oktober, 19 Uhr; weitere Vorstellungen: 29. und 30. Oktober, 20 Uhr, Altonaer Theater
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