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Literarisches Mordsvergnügen

Am Freitag startet die „Criminale“. Für die Liebhaber spannender Lektüre ein Ohrenschmaus, für die Autoren die Chance auf den höchstdotierten deutschen Krimipreis  ■ Von Kerstin Kohlenberg

Endlich, endlich ist wahr geworden, wovor Eltern ihre Kinder warnen und wogegen Innensenator Jörg Schönbohm nur mit New Yorker Taktiken anzukommen glaubt: Berlin ist Hauptstadt des Verbrechens. Ab Freitag treffen sich Krimiautoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur „Criminale '98“ in Berlin. Tatort sind unter anderem der Waldfriedhof Zehlendorf, die Justizvollzugsanstalt Tegel und das Waldkrankenhaus Spandau.

Etwas schneller noch waren die Kriminellen in Tiergarten. Die parallel laufende „Moabiter Kriminale“ schlug bereits am vergangenen Freitag abend zu. Zwei Polizisten marschierten direkt in das Büro des Tiergartener Bürgermeisters Jörn Jensen zu. Handschellen klickten. Der grüne Politiker durfte nur seine Zahnbürste mitnehmen. Schwer bewacht brachte man ihn in die Kunststätte Dorothea in der Turmstraße 4, wo die kleine Schwester der „Criminalen“ eröffnet wurde.

In einer Stadt, die „so unglaublich friedlich ist, daß es eigentlich jeden Krimiautor in die gefährliche Provinz treiben müßte“, so die Krimiautorin Thea Dorn, müsse man der Dramatik schon mal nachhelfen. Nur 80 Morde passierten laut Polizeistatistik in Berlin 1997. In Chicago würden dafür gerade mal drei Wochen gebraucht, so Dorn. Trotzdem leben die meisten der 180 Autoren, die sich im „Syndikat“, dem Verbund deutschsprachiger Krimiautoren, zusammengeschlossen haben in der tödlich langweiligen Hauptsstadt. „Es ist schwierig, den richtigen Ton für diese Stadt zu finden. Der Versuch, so zu tun, als wäre Berlin ein dunkler Sumpf, ist lächerlich“, findet Thea Dorn. „Da ist der Ruhrpott oder Frankfurt weitaus gefährlicher. Vor dem Hintergrund der neuen Mitte und den ganzen Veränderungen kann ich mir aber schon einige schöne Politthriller vorstellen.“

Für den Berliner Kriminalspezialisten Horst Bosetzky alias -ky ist die Criminale der absolute „Mega-Event der Krimibranche“. Um ein bißchen „gute, alte Zeit“ heraufzubeschwören, führt Bosetzky durch das berüchtigte Scheunenviertel, das in den 20er Jahren das Zentrum der Kleinganoven, Zuhälter und Einbrecher war. Hier gab es die Mulackritze, Lieblingskneipe der schweren Jungs, oder den „Muskel-Adolf“, der die Korruption innerhalb der Polizei systematisch aufbaute.

Doch die Krimis der 98er Criminale drehen sich eher um aktuelle Konflikte wie Jugend- und Wirtschaftskriminalität, Menschenhandel oder Zigarettenschmuggel. Und alle Autoren hoffen auf den höchstdotierten deutschen Krimipreis: 10.000 Mark winken bei der Criminale. In kleinen, gebrauchten, nicht fortlaufend nummerierten Scheinen natürlich.

Programmhefte im Kulturkaufhaus Dussmann, Friedrichstr. 90

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