■ Pampuchs Tagebuch: Literarisch schwer umwölkt
Man trifft's oft schlecht. Da will ich mal so richtig literarisch surfen – man gönnt sich ja sonst nix in diesen trüben Zeiten –, und dann erleide ich auf Pegasus' Schwingen Schiffbruch, wenn dieser Metaphernmix aus gegebenem Anlaß mal erlaubt ist. Schon seit einiger Zeit habe ich von jenem sagenumwobenen Netzliteraturwettbewerb der Zeit gehört und immer wieder erwogen, da mal reinzugucken. Es schlummert ja so manches in unsereinem, und vielleicht wäre etwas davon durch ein anständiges Preisgeld herauszulocken, wenn es schon nicht von selbst nach oben dringt. Also habe ich mich endlich bei der Adresse
www .Pegasus98.de eingewählt.
Nachdem ich das Preisgeld – 1998 gab es immerhin 10.000 Mark – gecheckt hatte, klickte ich neugierig erst mal die Rubrik „Lesen, nicht klicken“ an. Dort führt ein gewisser Christian Benne in gewählten Worten („Literatur kann Partikularidentitäten nicht mehr transzendieren, sondern nur noch verfestigen...“) den beredten Beweis, daß „Literatur im Netz eine Totgeburt“ sei. Das Internet vermöge, so Benne, „keine Brücken zwischen den Identitäten zu schlagen, weil ihm das Festland fehlt, auf das sie letztlich führen sollen“. Immerhin räumt er ein, daß „möglicherweise die wahre Bestimmung der Literatur im Internet“ darin liege, „ein preiswertes, unverbindliches Experimentierfeld zu sein, ein digitaler Teppich, an dem das Knüpfen geübt wird, den sich aber niemand ins Wohnzimmer legen würde“.
Derart gewarnt, betrat ich jenen digitalen, sich über fehlendes Festland spannenden Übungsteppich. Und traf auch pfeilgrad auf Knüpfwerke, die ich nie in mein Wohnzimmer legen würde. Gut, ich gebe zu, den ersten Beitrag von 1998 konnte ich nicht richtig öffnen. Denn er war im „Flash-Shockwave-Format“ erstellt. Und es war mir einfach zu mühsam, nun den angebotenen „Shockwave-Plug-in“ runterzuladen. Doch der zweite Beitrag hieß „Landkarte der Augenblicke“, und als ich ihn anklickte, erschien auch sogleich eine Landkarte, und zwar von Südamerika. Mein Lieblingssubkontinent, digital-literarisch geknüpft! Festland schien sich aufzutun.
Doch es kam anders. Eine „Intro“ erklärte, die „Landkarte der Augenblicke“ nehme uns mit auf eine Reise durch Südamerika, und drohte: „Nein, kein Tagebuch, kein Reisebericht. Ich nenne es Wortaquarelle...“ Was uns der Autor, immerhin Medienpädagoge, dann auftischt, ist eine Mausklick-Führung durch Südamerika, die leider derart verwolkt ist, das ich mich Benne irgendwie anschließen muß. Kein Brückenschlag, sondern ein lyristisch verquaster Baedeker, als habe Studiosus Friederike Kempner als Reiseleiterin angeworben. Rio: „Deine Seele faßte mich bei der Hand und führte mich in dein Herz.“ Machu Picchu: „...labyrinthische Gänge vorbei an Heiligtümern, so ewig, daß deine Magenwände vor Ehrfurcht erzittern.“ Isla del Sol: „In den Tälern der für die Ewigkeit haltbar gemachten Sonnenpracht leben die Auserwählten...“
Eine gewisse Linderung verschaffte meinen bei alledem zittrig gewordenen Magenwänden dann der Beitrag „Permutationen – kombinatorische Dichtung von 330 n.Chr. bis heute“. Mit Raymond Queneaus „Cent mille millards de poêmes“ und den anderen dort versammelten Stücken kann man sich durchaus ein Weilchen vergnügen. Ob ich mich beim nächsten Wettbewerb beteilige, weiß ich allerdings nicht. Ich fürchte, ohne Shockwave-Plug-in brauche ich meinen Pegasus gar nicht zu satteln. Wer hoch hinaus will, muß viel runterladen. Thomas Pampuch
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