: Litauen trotzt dem Moskauer Ultimatum
■ Litauen will beim Kurs eigener Unabhängigkeit bleiben / Ultimatum mit Androhung von Wirtschaftssanktionen verstrichen / Internationaler Druck auf Moskau
Moskau (afp/ap/taz) - Trotz eines Ultimatums der sowjetischen Staatsführung bleibt Litauen bei seinem Kurs der eigenen Unabhängigkeit. Der stellvertretende litauische Ministerpräsident Romualdas Ozolas versicherte am Montag im Fernsehen, daß sich Litauen dem Druck nicht beugen werde.
Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hatte der Führung der abtrünnigen Republik am Freitag zwei Tage Zeit gegeben, ihre Unabhängigkeitserklärung zurückzunehmen und im Falle einer Weigerung mit einem Lieferstopp für devisenträchtige Güter gedroht. Das Ultimatum verstrich unbeantwortet, ohne daß Moskau seine Drohnung bisher wahr machte.
Parlament und Regierung Litauens unterbrach gestern seine Osterpause, um über die angekündigten Wirtschaftssanktionen zu diskutieren. Ozolas riet den Litauern in seiner Fernsehansprache, sich an den Osterfeiertagen gut zu erholen, denn „diese Woche verspricht nicht weniger hektisch zu werden“ als die vergangenen. Sollte Gorbatschow seine Drohung wahr machen, könnten Litauens Betriebe höchstens zwei Wochen weiterproduzieren, erklärte Ozolas.
Er äußerte sich aber zuversichtlich, daß Moskau den Lieferstopp nicht durchsetzen könne. Der stellvertretende Regierungschef kündigte für den gestrigen Montag an, daß die Nachbarrepublik Estland einen Botschafter für Litauen ernennen und Litauen im Gegenzug einen Botschafter für Estland berufen werde.
Die litauische Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskiene sagte, Litauen habe seine Bemühungen um die Herstellung wirtschaftlicher Beziehungen zum Westen verstärkt. Die Nachrichtenagentur 'Tass‘ berichtete, Litauen verhandele mit der Bundesrepublik und der Schweiz über den Druck eigener Banknoten.
Gorbatschow hatte in seinem auch von Ministerpräsident Ryschkow unterzeichneten Brief die Rücknahme aller Gesetze und Beschlüsse gefordert, mit denen Litauen aus dem Staatsverband der UdSSR herausgelöst werden soll. Fortsetzung auf Seite 2
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Im Weigerungsfall sollten alle anderen Sowjetrepubliken aufgefordert werden, Litauen nicht mehr mit solchen Gütern zu beliefern, deren Absatz auf dem Weltmarkt Devisen einbrächte. Die Blockade kann sich auf Erdöl und Erdgas, Kohle, Metalle, Maschinen, chemische Produkte, Baumwolle und Autos erstrecken.
Die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘ wies die Einmischung der USA in den Litauen-Konflikt zurück. Sie wandte sich auch gegen den amerikanischen Wunsch, das Thema Litauen beim Gipfeltreffen der Präsidenten Juni anzusprechen. Der Konflikt zwischen Vilnius und Moskau sei ein „innenpolitisches Problem der UdSSR“, hieß es in der der Sonntagsausgabe des Parteiblattes. Auf Warnungen des US -Außenministers James Baker und seines
britischen Amtskollegen Douglas Hurd ging die 'Prawda‘ nicht direkt ein. Baker und Hurd hatten am Samstag erklärt, falls Gorbatschow seine Drohung wahrmache und Litauen mit wirtschaftlichem Druck vom Unabhängigkeitskurs abzubringen versuche, so werde dies negative Folgen für das Verhältnis der Sowjetunion zum Westen haben.
Als möglicher Vermittler in dem Konflikt ist Papst Johannes Paul II. im Gespräch. Am Samstag traf er mit dem Berater Gorbatschows für internationale Angelegenheiten, Wadim Sagladin, zusammen. Schon vor einer Woche hatte der Botschafter des Vatikans im Kreml deutlich gemacht, daß der Heilige Stuhl zur Vermittlung zwischen beiden Seiten bereit sei. Der Papst stehe nach wie vor für diese Aufgabe zur Verfügung, hieß es am Montag aus dem Vatikan, der seine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Litauen nie abgebrochen hatte.
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