Weihnachtsmänner, Weihnachtsfrauen (7): Linsensuppe
■ Heute: Heiligabend bei Antonia Ivanov
Heiligabend gibt's Linsensuppe. Süßen Trockenobstkompott. Walnüsse, aus deren Innereien man die Zukunft ablesen kann. Vielleicht einen Weihnachtsbaum, aber das ist nicht sicher. Denn in der Tradition der christlich-orthodoxen Bulgaren kam er nicht vor; erst die Kommunisten führten ihn ein, und zwar Silvester. Antonia Ivanov aber denkt nicht gern an die bulgarischen Kommunisten, wie sie auch ungern an ihre bulgarischen Weihnachten zurückdenkt. Denn Weihnachten – das hat doch was mit Familie und Geborgenheit zu tun. In ihrer Familie aber hat sie keine Geborgenheit gehabt.
Das lag zum Teil am Vater. Um den hat sie als Kind immer viel Angst ausgestanden, weil er – obzwar Mediziner, Oberarzt sogar –ein staatsbekannter Opositioneller war (ein Jahr Berufsverbot). „Ich habe mir immer herzlich einen systemkonformen Vater gewünscht, richtig gut-bürgerlich,“ sagt die heute 28-jährige. Von ihren Eltern wurde sie nach christlichen Werten erzogen, „aber ohne Jesus“. Religion in Bulgarien, das waren alte Leute, die nichts mehr zu verlieren hatten und zur Kirche schlichen. Wie ihre Oma, die zu Hause einen kleine Marienikone hatte, vor der sie täglich eine Kerze anzünete. Einmal hat Antonia „aus Neugier“ Ostern in die Kirche gehen wollen – da standen aber drei Lehrer vor der Tür und kontrollierten die Kirchgänger.
Während die meisten Bulgaren nach sowjetischem Vorbild Baum und Geschenke zu Silvester hatten, bescherte man in Antonias Familie Heiligabend. Mehr Ritual war nicht: Vater hatte meist jede Menge Noteinsätze. Das erste „westliche“ Weihnachten erlebte sie in einem DDR-Kulturzentrum mit Tannenbaum, Duftkerzen und Stollen. Antonia studierte in Sofia und Ostberlin Germanistik, lernte einen bulgarischen Informatiker kennen, dann kam Iliana, dann kam Bremen, vor drei Jahren. Weihnachten hieß in dieser Zeit immer: entweder bulgarisch (Linsensuppe...) oder (ost)deutsch (ein Tannenzweig und Erzählen).
Diese Jahr sind die Ivanovs erstmals zu dritt in der Heigen Nacht – die Tochter ist jetzt viereinhalb. „Ich habe Schiß,“ gesteht sie. Wie begeht man Heiligabend, wenn man sich kaum bei einer Tradition bedienen kann? Und dann ist da die Sache mit der Linsensuppe: Sie selbst ist zu faul dieses Jahr, das weiß sie schon. Doch wenn ihr Mann kochen würde, wäre es kein Weihnachtsgenuß. BuS
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