Linker Antisemitismus: Das strafende Volk
Die politische Rechte hat den Antisemitismus nicht exklusiv. Im Angriff auf Alain Finkielkraut in Paris zeigt sich ein Problem der Linken.
Als der französische Philosoph Alain Finkielkraut vergangene Woche von einigen französischen Gelbwesten angegriffen wurde, schwiegen viele Linke. Vor allem jene, die sich öffentlich als Fürsprecher der Gelbwesten hervorgetan hatten oder sich gar an die Spitze der Bewegung setzen wollten, sagten nichts oder warnten vor einer Instrumentalisierung des Antisemitismus. Thomas Guénolé, Politikwissenschaftler und Mitglied in Jean Luc Mélenchons linker Partei La France Insoumise wurde konkreter: Alain Finkielkraut habe jahrelang Hass in Frankreich verbreitet und in Anbetracht dessen werde er nicht so weit gehen, ihn zu bemitleiden.
Finkielkraut gilt als reaktionär, seine Äußerungen zum Niedergang Frankreichs im Zusammenhang mit Migration belegen das. Warum ist diese Äußerung Guénolés dennoch ein Problem? Und mehr noch – warum ist sie symptomatisch für eine gewisse Blindheit innerhalb der Linken?
Nun, die Angreifer haben nicht „Reaktionärer“ oder „Rassist“ oder „Scheißkapitalist“ oder so was gerufen, also etwas, was sich auf eine tatsächliche oder nur vermeintliche politische Gesinnung Finkielkrauts bezogen hätte, sondern sie riefen etwas ganz anderes: „Dreckiger Zionist“, „Geh zurück nach Tel Aviv!“, „Das Volk wird dich bestrafen“ „Frankreich gehört uns“.
Sie wollten Finkielkraut als Juden treffen, nicht als politischen Akteur. Und als Juden haben sie ihn außerhalb des „Volkes“ verortet, außerhalb jener Kategorie, von der auch die populistische Linke noch immer nicht genug hat, ein Abfallprodukt der Geschichte, um das sie mit der armseligen Rechten gar noch konkurriert, weil sie genauso retro ist wie die Rechte, die sich nur steinalter Ideen bedient. Dieses Volk, das den Juden nicht nur zum Juden, sondern auch zum Israeli macht, ist ein strafendes, eine rachsüchtige Masse, die sich für alles rächen will. Für alles, was ist das? Es ist alles, was nicht gut ist in ihrem Leben und also viel zu viel, als dass man es noch benennen könnte, für das es aber einen Schuldigen gibt: den Juden.
Wieder einmal war ein Jude „selbst schuld“
Der im letzten Jahr verstorbene Chicagoer Historiker Moishe Postone hat das in einem Interview einmal so auf den Punkt gebracht: „Im Antisemitismus wird die strukturelle Herrschaft des Kapitalismus zum Handeln der Juden. Deswegen betrachtet sich auch der Antisemitismus selbst als emanzipatorisch und antikapitalistisch.“ Diese Verschiebung ist gegenwärtig häufig Teil der Antisystemstrategie gegen die Eliten, was mitunter die Unterscheidung, ob der Antisemitismus von rechts oder von links kommt, recht schwer macht.
Der bekannte französische sozialdemokratische Anwalt und politische Berater Jean-Pierre Mignard sagte, es wäre ratsamer gewesen, Finkielkraut hätte sich von der Straße ferngehalten und zum Glück sei er ja nicht geschlagen worden, denn das hätte alles geändert. Was genau hätte das geändert? Dass alle das Kind hätten beim Namen nennen müssen, weil für Antisemiten erst dann Antisemitismus herrscht, wenn Juden geschlagen werden?
Wieder einmal war ein Jude also selbst schuld. Und weil die Juden zudem nichts aus der Geschichte gelernt haben, sind sie „dreckige Zionisten“, sogar dann, wenn sie vielleicht antizionistische Franzosen sind. Wobei die weitverbreitete Vorstellung, dass ausgerechnet die Juden etwas aus der fabrikmäßigen Judenvernichtung hätten lernen sollen, ein eher deutscher Pädagogikansatz ist.
Es geht hier nicht darum, Mignard oder Mélenchon zu Antisemiten zu machen, wie es auch nicht darum geht, die Gelbwesten zu diskreditieren und von der massiven Gewalt der französischen Polizei zu schweigen.
„Dreckiger Zionist“
Aber es geht darum, den Subtext solcher Äußerungen und Dynamiken zu erkennen, der aus dem Arsenal antisemitischer Rhetorik kommt. Doch Linke wie Mélenchon, der eine Bewegung repräsentieren will, die gar nicht repräsentiert werden möchte, setzen auf Deklamation statt auf Aufklärung: „Non, le mouvement des #giletsjaunes n’est pas un mouvement raciste. Non, le mouvement des gilets jaunes n’est pas un mouvement antisémite. Non, le mouvement des gilets jaunes n’est pas un mouvement homophobe.“ Wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und denkt, es sei unsichtbar.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die neuen Antisemiten rufen nicht mehr „dreckiger Jude“, sondern „dreckiger Zionist“, und die individuell wie geopolitisch souveränitätsfixierte Linke will gar zu oft sogar das noch als legitime antiimperialistische oder antikoloniale Israelkritik verstanden wissen, der sie wie einem Hobby mit viel Leidenschaft nachgeht. Umso mehr, seitdem die neue Rechte den Trick anwendet, israelsolidarisch zu sein, bloß um noch heftiger ihrem 19.-Jahrhundert-Antisemitismus frönen zu können.
Diesem Trick sitzt auch die US-amerikanische Philosophin Judith Butler auf, die repräsentativ ist für eine Linke, die überall Rassismus und nirgends Antisemitismus wittert. In dem gerade erschienenen, sehr lesenswerten Sammelband „Neuer Antisemitismus“ (Suhrkamp), herausgegeben von Doron Rabinovici, Natan Sznaider und Christian Heilbronn, erneuert Judith Butler, die bekanntlich Hamas und Hisbollah für linke Organisationen hält, ihre Israelkritik als quasi befreierischen Akt sowie ihr Engagement für die BDS-Kampagne, die nicht auf die Bürger, sondern die Institutionen ziele, wie Butler die Leser*in aufklärt. Das wäre dann die historisch erste Boykottaktion dieser Art, hoffentlich hat Butler wenigstens ein paar Assistenten, die notieren, wenn mal wieder irgendwo israelische Künstler*innen und Wissenschaftler*innen ausgeladen werden.
Ach, Judith Butler
Butlers Text ist von politischer Dummheit, ahistorischer Neigung und moralischem Vokabular geprägt. Da werden Palästinenser nicht bloß „enteignet“, sondern „verstümmelt“, während sie daran erinnert, dass „die deutsche faschistische Ideologie den Zionismus guthieß“, gerade so, als wäre das das einzige Problem zwischen Nazis und Juden gewesen. Nur am Rande sei erinnert, wie auch im Buchbeitrag von Matthias Küntzel, dass die Nazis bereits 1937 einen Judenstaat verhindern wollten, weil dieser „eine zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis für das internationale Judentum schaffen würde“, und folglich den Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, im Radio Zeesen im Spreewald zu einer Figur aufbauten, die den Judenhass in der arabisch-islamischen Welt beförderte wie kein anderer.
Geht es um Israel, greift die Dekonstruktivistin Butler gar zu den Kategorien Volk, Rasse und Wahrheit. Nur die israelische Entmilitarisierung und Entkolonisierung würden aus dem „Albtraum“ in Nahost herausführen, dabei kommt in ihrem Albtraum der Antisemitismus der arabischen Welt nicht einmal vor, zumindest ist davon nicht mit einem Wort die Rede.
Wer so viel apolitische Moral im Gepäck hat, subsumiert alle Ungerechtigkeit unter „weiße Vorherrschaft“ und kann andererseits den Antisemitismus lediglich als „bösartige Form von Rassismus“ definieren. Doch der moderne Antisemitismus hat es „weniger auf den sichtbaren denn auf den unsichtbaren, den verborgenen Juden abgesehen“, wie der Historiker Dan Diner im genannten Sammelband schreibt. Er ist ein Hass auf ein „zu bebilderndes Unsichtbares, ist ein Hass auf vorgeblich Mächtige, Überlegene, Privilegierte“.
Und es ist vor allem dieser moderne Antisemitismus, der angesichts der Globalisierung wieder in Schwingung gerät, alles Kosmopolitische und Liberale hasst und viele Bilder findet für die alte Geschichte von David und Goliath.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“