: Linke Tageszeitungen in der Türkei
betr.: „taz auf Türkisch“, taz vom 8. 6. 04 (flimmern und rauschen)
Im Artikel über die kürzlich erschienene Tageszeitung Birgün behauptet Jürgen Gottschlich, dass nach dem Verbot von Demokrat im Putschjahr 1980 nun nach 25 Jahren mit Birgün wieder eine unabhängige, linke Tageszeitung in der Türkei gegründet worden ist. Das ist nicht richtig. Es gab drei weitere linke Tageszeitungsprojekte, von denen noch zwei Zeitungen bestehen.
1. Die erste Tageszeitung nach dem Militärputsch steht dem linken und kurdischen Spektrum nahe. Sie ist durch viele Verbotsverfügungen mit wechselnden Namen erschienen, zum Beispiel Gündem, Yeni Gündem, Ülke Gündem und heute Ülkede Özgür Gündem. Sie wurde Anfang der 90er-Jahre zu Zeiten gegründet, als Leyla Zana mit drei weiteren DEP-Vertretern in das türkische Nationalparlament gewählt wurde, wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache im Parlament verhaftet und mit den drei weiteren Abgeordneten zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. […]
2. Im Jahr 1995 wurde die Tageszeitung Evrensel (Universal) gegründet. Die Gründungsinitiative ging von ehemaligen 68ern, linken Intellektuellen und vor allem von linken und unabhängigen Gewerkschaftern aus. Evrensel steht der Partei der Arbeit (EMEP) nahe. Wie Gündem musste auch Evrensel aufgrund vieler Verbotsverfügungen oft den Namen wechseln. […]
3. 1993 bestand für zirka ein Jahr die Tageszeitung Aydinlik. Dieses Projekt wurde redaktionell und finanziell von dem berühmten türkischen Schriftsteller Aziz Nesin gestützt. […]
Richtig an Ihrem Artikel ist, dass nun Birgün in der heutigen Situation gegründet wurde, in der sich die Lage zur Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei zu entspannen scheint. Während in den 90er-Jahren noch über 20 Journalisten von linken und prokurdischen Zeitungen (aber auch die beiden kritischen Cumhuriyet-Redakteure Ugur Mumcu und Prof. Kislali) getötet wurden, sind solche Tötungsdelikte an unbequemen Journalisten in den letzten Jahren nicht mehr vorgekommen. Angriffe auf die Pressefreiheit sind jedoch immer noch auf der Tagesordnung. […]
Ihrem Autor ist auch zuzustimmen, dass die türkische Linke schwach und zersplittert ist. Auch die Redakteure der neuen Tageszeitung Birgün kommen aus diesem Spektrum. Trotzdem hat die Linke sich seit den letzten zwei Wahlen zu einem Wahlblock „Für Arbeit, Frieden und Demokratie“ zusammengeschlossen. Mit dieser Plattform der DEHAP und verschiedenen linken Parteien, teilweise auch der ÖDP, wurden bei den Nationalwahlen 6,5 Prozent und bei den kürzlichen Kommunalwahlen fast 5 Prozent erreicht. In absoluten Zahlen waren das bei den nationalen Wahlen vom November 2003 fast so viele Stimmen, wie jetzt die Grünen/Bündnis 90 bei den Europawahlen erreicht haben. WILHELM FROHN,
Vors. EMEK Solidarität e.V., Niedenstein