Linke Medien und die Polizei: Eine vertane Chance

Die Institution Polizei gilt als sakrosankt. Medien wie die taz sollten aber die herrschenden Verhältnisse hinterfragen.

Horst Seehofer steht mit dem Rücken zur Kamera vor einer Polizeiwanne mit zerstörten Fensterscheiben

Macht, kaputt: Horst Seehofer und ein bei den Ausschreitungen in Stuttgart beschädigter Polizeiwagen Foto: Arnulf Hettrich/imago

Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz, ausgelöst durch die Kolumne „All cops are berufsunfähig“. Als pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer Webseite: taz.de/kolumnendebatte.

Für einen Augenblick sah es so aus, als könnte die deutsche Gesellschaft eine Debatte über die strukturellen Probleme der Polizei – Rassismus, Gewalt und Straflosigkeit – führen. Eine Debatte, die normalerweise überwiegend innerhalb der Linken und ihrer Medien, also auch der taz stattfindet. Befeuert durch die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA war zu hoffen, dass sie auch den bürgerlichen Politikbetrieb und die Feuilletons für eine Weile beschäftigen würde.

In dem Moment allerdings, als die Kritik von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken aufgegriffen wurde, entpuppte sich diese Erwartung als Illusion. Innenminister und Politiker*innen aller Parteien, Leitartikler*innen und die Polizei höchstselbst, machten deutlich, dass sie nicht vorhaben, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Es gebe keinen strukturellen Rassismus, keine übertriebene Polizeigewalt – stattdessen müssten „unsere Polizisten“, wie sie von Horst Seehofer bis Cem Özdemir genannt werden, vor „Generalverdacht“ geschützt werden. Esken wurde zum Kotau gezwungen. Auf Demos gegen rassistische Polizeigewalt wurden junge Menschen, darunter viele BPoC (Black and People of Color), verprügelt.

Alle, die regelmäßig negative Erfahrungen im Umgang mit der Polizei machen – Nichtweiße, sozial Ausgegrenzte, politische Aktivist*innen oder Fußballultras, an denen neue Polizeitaktiken oft zuerst erprobt werden – mussten das als dickes „Fuck you“ verstehen. Sie bleiben allein zurück mit ihren Ängsten vor anlasslosen Kontrollen, gewalttätigen Übergriffen und sich vor Gericht gegenseitig deckenden Polizist*innen.

Eine berechtigte Wut

Aus dieser Zurückweisung entsteht Wut, berechtigte Wut, die sich artikulieren muss. Die sich nach Ruhe sehnende Mehrheitsgesellschaft kann froh sein, wenn sich diese Wut nur in der taz Bahn bricht und nicht auf der Straße. Und die taz sollte es zu schätzen wissen, wenn Betroffene in ihr die Möglichkeit sehen, sich zu äußern.

Doch Rainer Wendt, Horst Seehofer und all die anderen geben sich nie zufrieden. Sie toben, wie immer, wenn ihr Instrument der Herrschaftssicherung infrage gestellt wird. Zwei Ereignisse nutzen sie geschickt: den unzweifelhaft ironischen Text der taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah und die Jugendkrawalle in Stuttgart.

Erstere sei eine „diskursive Grenzverschiebung“ hieß es, als ob nicht die gesellschaftliche Rechte von Sarrazin bis Höcke seit Langem Menschen ihre Würde absprechen. Zweiteres sei eine „nie dagewesene Dimension an Gewalt“ – eine Behauptung, die schon beim Blick auf den Überfall von 200 Nazis auf Leipzig-Connewitz, bei dem massenweise Läden zerstört wurden oder die Angriffe auf die Polizei bei Hogesa in sich zusammenfällt.

Egal welch geistiger Müll zur Verteidigung der Polizei verbreitet wird, von Stammtischen oder aus den Redaktionsstuben von Springer und anderen gibt es Anfeuerung statt Aufklärung. Die herrschenden Polizeifreunde geraten noch nicht einmal unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie offensichtlich lügen – wie Olaf Scholz, der wider besseren Wissens und unzähligen Stunden Videomaterials behauptete, beim G20-Gipfel in Hamburg habe es keine Polizeigewalt gegeben.

Die Polizei, das wehrlose Opfer?

In diesen Kreisen ist die Polizei stets das wehrlose Opfer. In so einem Diskurs sind tatsächliche Fortschritte innerhalb des Polizeiapparats kaum thematisierbar, weil sie sofort als Argument gegen notwendige Kritik gedreht werden. Aber ja, ein dreitägiges Zuschauen wie bei den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen ist heute nicht mehr vorstellbar. Und auch besteht kein Zweifel daran, dass in den USA die Zustände ganz andere sind.

Nun ist es also wieder einmal gelungen, die wichtige Debatte über die Rolle der Polizei und ihrer notwendigen Regulierung einfach abzubrechen und durch das Thematisieren von Scheinproblemen zu ersetzen. Auf der Agenda steht nun die scheinbare Sorge um die Menschenwürde, mit der vor allem die Würde von Polizist*innen gemeint ist; wohlgemerkt aufgrund eines überspitzten Textes, während eben diese Besorgten sonst ungerührt Menschen in Polizeiwachen oder dem Mittelmeer verrecken lassen.

Es ist also wieder einmal gelungen, die wichtige Debatte über die Rolle der Polizei und ihrer notwendigen Regulierung einfach abzubrechen und durch das Thematisieren von Scheinproblemen zu ersetzen

Die Institution Polizei ist sakrosankt. Das mag man mit deutscher Obrigkeitshörigkeit erklären, ist aber auch eine Folge der Mutlosigkeit, dagegen anzugehen. Und es ist eine Folge des Versagens vieler Medienschaffender. Polizeimeldungen werden als alleinige Quellen behandelt, selbst wenn sie als Eigen-PR erkennbar sind. Mit den Zahlen verletzter Polizist*innen oder angeblichem Widerstand von Demonstrant*innen wird Politik gemacht – und fast alle spielen mit.

Die Befugnisse der Polizei werden erweitert, von Eingrffsmöglichkeiten bei dem Konstrukt der „drohenden Gefahr“ bis zur Erhebung von Gebühren für Polizeieinsätze – fast ohne öffentliche Debatte. Das Machtgefälle zwischen der Polizei und den von ihr Getriezten wird schon gar nicht in den Blick genommen.

Keine Kompromisse

Es sollte daher Aufgabe von Medien wie der taz sein, keine Kompromisse zu machen, wenn es darum geht, die herrschenden Verhältnisse zu hinterfragen. Gelingen kann das nur, wenn man sich weder die Narrative bestimmen lässt noch um die Anerkennung in bürgerlichen Kreisen ringt. Deren Eintrittsregeln lauten: Gewalt ist, zumindest hierzulande, reflexhaft aufs Schärfste zu verurteilen, ohne nach den Ursachen fragen zu dürfen. Sowie: Weder ist physische Polizeigewalt ein Problem, noch existiert strukturelle Gewalt in Form von Rassismus und Ausbeutung.

Wer das akzeptiert, verabschiedet sich von linken, staatskritischen Positionen und lässt die gesellschaftlich Ausgegrenzten und Systemkritiker*innen allein. Will die taz deren Stimme sein, muss sie ihren Blick auf Macht- und Gewaltstrukturen schärfen. Herrschaftskritik und Solidarität sind zugleich der Kern dessen, was linke Politik bestimmt. Im Wissen darum hat sich die taz gegründet – und die souveräne Haltung dazu ist auch heute ihre Daseinsberechtigung. Die Bürgerlichen haben ihre eignen Medien.

Es geht also um Stärke, wenn man sich nicht die Empörung derjenigen aufzwingen lässt, die ein grundlegend anderes Gesellschaftsbild vertreten. Niemand in der Linken und niemand in der taz sollte sich schämen, nur weil andere das aus Eigeninteresse wollen.

Erik Peter ist Redakteur der taz Berlin. Spezialgebiet: Krawall und Remmidemmi.

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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