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Liebesbotschaften, Predigertonfall und Black Power

■ Sanfter Gigant: Der Jazz-Folkie Terry Callier heute Abend mit Klassikern und neuen Stücken in der Fabrik

Brit-Pop-Vater Paul Weller nannte ihn „eine Lichtgestalt“. Terry Callier wuchs in den fünfziger und sechziger Jahren mit dem Chicagoer Doo-Wop in kreativer Konkurrenz zu Major Lance und Curtis Mayfield auf. Im Gegensatz zu Mayfield blieb Callier der kommerzielle Erfolg jedoch lange versagt.

In den Siebziger Jahren schuf Callier Jahrhundertsongs wie „Dancing Girl“ oder „Ordinary Joe“, ein in Northern-Soul-Kreisen hochgeschätzter Boogie, auf Platten des Labels Cadet, nach denen sich Soul-Sammler bald die Ha-cken abliefen. Erst als Anfang der Neunziger der zu jener Zeit einflussreiche Acid-Jazz-Labelchef Eddie Piller über frühe Callier-Veröffentlichungen stolperte, war die Reissue-Welle in Sicht.

Callier hatte sich zuvor schon mit seinem Dasein als Programmierer an der Universität von Chicago abgefunden, als ihm 1981 das Sorgerecht für seine Tochter Sunditia zugesprochen wurde. „Ich musste die Musik aufgeben. Sunditia brauchte mich, und das Musikgeschäft schien zu diesem Zeitpunkt nicht das Rentabelste zu sein“, fand Callier. Doch das wieder erwachte Interesse an seiner Musik bescherte ihm einen neuen Deal bei Talkin' Loud.

1998 erschien mit Timepiece Terry Calliers erstes Album nach 17-jähriger Auszeit – es sollte ihm die wohlverdiente Musikerrente sichern, denn der Titelsong taugte 1999 gar als Friedenshymne der Vereinten Nationen. Es folgte ein Album, mit dem Callier nicht mehr in die Hochform der Siebziger kam. Dennoch zeigten Remixe von 4 Hero oder Zero 7, wie tief Calliers Sound in den Festplatten der Nu Jazzer und Downbeater gespeichert ist.

Sein aktuelles Werk enthält sowohl Klassiker als auch Neues, darunter „Lament For The Late A. D.“, eine Würdigung Amadou Diallos, der 1999 unbewaffnet von New Yorker Polizeibeamten mit 30 Schüssen niedergestreckt wurde. Alive ist der Mitschnitt eines Konzerts im Londoner „Jazz-Café“. Hier zeigt sich, dass Calliers Gesang, der zwischen den zerbrechlichen Tönen einer Liebesbotschaft und der Ernsthaftigkeit eines Predigers oszilliert, von Black Power beeinflusst und mit subtilem Folk und pointiertem Jazz veredelt ist.

Wen interessieren Calliers charmante Intonationsprobleme angesichts des wärmenden Suave seiner Miniaturepen? Schließlich war es John Coltrane, der die Spiritualität des inzwischen 56-Jährigen prägte: „Mit A Love Supreme machte Coltrane ein für allemal klar, wie Musik als Zyklus der Verehrung, als Gebet genutzt werden kann. Es musste nicht mehr Gospel sein.“

Ulrich Seiter

 heute, 21 Uhr, Fabrik

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