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Liebe, liebe Genossen!

■ Mit einem Bittbrief will Parteichef Kuhbier Hamburgs SPD zusammenhalten

Während Bürgermeister Henning Voscherau allerorten erklärt, er sei als Spitzenkandidat nur zum Preis keiner Rot-Grün-Aussage zu haben, versucht sich Parteichef Jörg Kuhbier in Schadensbegrenzung. Eine Woche nach dem desaströsen SPD-Parteitag und den umstrittenen Beschlüssen zur „zumutbaren“ Arbeit für Sozialhilfeempfänger, schrieb er einen um „Disziplin und Toleranz“ werbenden Bittbrief an die Distriktvorsitzenden.

Der beschlossene Leitantrag sei keine „Vorbereitung für eine große Koalition, wie von manchem geargwöhnt wird“, so Kuhbier. Der als SPD-Linker und Befürworter von Rot-Grün geltende Parteichef hat sich einen strammen Integrationskurs auf die Fahnen geschrieben; einen Bogen, den er manchmal zu überspannen droht. Mit einer Koalitions-Priorität in den Wahlkampf zu ziehen, mache die SPD „erpreßbar“, schreibt Kuhbier. Man könne in „diesen Bürgerschaftswahlen nur bestehen“, wenn die SPD „eben nicht mit festgelegten Koalitionsaussagen in den Köpfen oder im Wahlprogramm vor die Bürger“ tritt.

Auch der Leitantrag zur Zukunft der Arbeit war von Kuhbier integrativ gedacht. Daß seine Parteigenossen ihm die Aufnahme des Sozialhilfemißbrauchs-Themas in den Antrag so wenig gedankt haben, wird als Schlappe für Kuhbier gewertet. In seinem Schreiben versucht er nun erneut, in der SPD den Eindruck zu erwecken, daß alles gut gelaufen sei. Man habe die Beschlüsse „mit großer Einmütigkeit“ gefaßt. Es stünde auch sehr viel wichtiges drin zur Zukunft von Arbeit und Sozialstaat, meint er zu sehen, was viele Genossen vermissen. Auch daß die SPD gemeinnützige Arbeit favorisiere sei unrichtig. Die Mehrheit des Parteitages habe sich nur nicht „auf die bisherige Formel ,Tariflohn'“ verengen lassen wollen. Man wolle zwar Löhne zahlen, aber geringere als tarifliche. „Auch der Erste Bürgermeister hat heute in der Senatorenvorbesprechung deutlich gemacht, daß er das Modell ,Ulf Fink', das auf die Sozialhilfe nur noch Taschengeld drauflegen will, ablehnt, statt dessen aber niedrigere Tariflöhne, die nicht zu Gewerkschaftsbedingungen vereinbart werden, favorisiert.“

Es müsse also weiter diskutiert und in Projektgruppen – zum Beispiel „Soziale Großstadtstrategie“ – gearbeitet werden. Kuhbiers flammender Appell: „Laßt die Projektgruppe und mich nicht im Stich.“ Silke Mertins

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