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Liebe TAZ, liebe Veganisten, liebe erna -betr.: Sylvester-Debatte

Betr.: Sylvester-Debatte

Erna, in deinem Beitrag vom 4. Januar forderst du uns (ich gehöre zur betroffenen Öffentlichkeit) dazu auf, „aus den richtigen Gründen empört zu sein.“ Wenn es überhaupt einheitliche (denn das meinst du doch) Gründe gibt, empört zu sein, sind das hoffentlich nicht die Gründe für die Silvesteraktion der Veganisten. Auch du, erna, bliebst in diesem Fall den Krawallursachen gegenüber genauso ignorant als vielen anderen.

Was würde nämlich diese Sekte, oder besser gesagt, die Kampforganisation dieser Sekte, für Obdachlose und Junkies tun? Bloß die Aufforderung, kein Fleisch zu verzehren ändert deren Probleme nicht, ganz im Gegenteil. Vorgestern sah ich in der Fußgängerzone einen Obdachlosen, der einen Hamburger verzehrte. Die Veganisten hätten ihn bestimmt verprügelt, und gleichzeitig die Scheiben von McDonald's eingeschmissen. Die Polizei wäre gekommen, und der Obdachlose hätte sich allen- fals einen kurzen Aufenthalt im Krankenhaus oder Knast si- chern können.

Und was für eine Rolle spielten diese fundamentalisti- schen Prinzipienreiter, wenn es um die Abschiebung von Asylbe- werber ginge? Sie würden darauf hinweisen, daß in den meisten Herkunftsländern dieser Menschen Tiere auf grausame Weise gequält und gegessen werden. Somit wären diese Kulturen minderwertig, was den Veganismus zu einer krypto-rassistischen Ideologie macht.

Und wurde im Buntentorprojekt Fleisch verzehrt? Kommt Weidedamm ohne Salami aus? Werden Mietwucher, Leerstand und Spekulation dadurch erfolgreich bekämpft, daß den Besitzern, den Maklern und die Bänkern die Buletten abgesprochen werden?

Daß die Polizei 1994 viele große und kleinere Fehler gemacht hat, ist vielen in diesem Stadtstaat absolut klar. Es wurde oft provoziert und auf Eskalation gesetzt. Um gerade am letzten Tag des Jahres die Deeskalation einzuführen, kommt einem dabei geradezu heuchlerisch vor. Doch wo sind die Zeiten, in denen die Scheiben nur bei Polizei, Banken und Maklern klirrten? Die Sitten haben sich in diesem Zusammenhang ein- deutig geändert. Veganisten sehen jetzt weder in Staat oder Kapital den großen Feind, nicht mal im Oberschlachter Pollmann, nein: die kleinen Fleischer müssen ausbaden, was sich an Aggressionen angestaut hat. Wo sind die Zeiten, in denen es in der autonomen Szene einen Ehrencode gab: gehen Scheiben Unbe- teiligter zu Bruch, dann wird Geld gesammelt oder der Schaden ersetzt.

In diesem Fall schlage schlage ich vor, daß für Ökofleischer Groth ein Spendenkonto eingerichtet wird. Seine Kunden sollten sich nicht als Freier der „Freß- und Konsummeile“ ausgrenzen lassen. Und mit Veganisten möchte ich gerne diskutieren. Ich hoffe, sie stellen sich der Öffentlichkeit und geben ihre totalitäre Struktur auf. Wenn ich ein Geschäft besuchen muß mit der Angst, daß ein Attentat oder Brandanschlag verübt werden könnte, obwohl keiner mir persönlich klargemacht hat, was ich eigentlich verbreche, ja, dann bin ich betroffen, und, liebe erna, das ist weder heuchlerisch noch verlogen.

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