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Liberale Pullis

■ Wieviel Deutschpop verträgt der Mainstream? Die Musik von Samba gibt dir die Antwort - auf Reflexionsstufe sex 1/2!

Alle Mann in Deckung, hier kommt eine Druckwelle, die dich einwickelt, noch bevor du sagen kannst „Ein Bier bitte, Garçon!“ Sie sind jung, jünger als Tocotronic, sie rennen offene Tore ein, und an ihren Stoffen klebt ein slickes Etwas. Monster des Amirocks? Abendländischer Pogozentrismus? The Presidents of the United Colors of –?

Samba war mal ein Turnschuh, lang ist's her, in den Siebzigern. Samba ist jetzt mit Frank Black unterwegs, der beileibe bessere Tage und schlechtere Vorgruppen gesehen hat. Samba preßt, drischt und schlägert sich durch ein Mittelfeld aus 80er-Hardcore-Verweisen, grantscht an einer Reihe Geschmacksverteidiger vorbei ... unnötig zu sagen, daß jeder dieser Songs in die Charts will wie (früher) die Bälle ins Tor. Im Gegensatz zu Blumfeld und den Sternen, die hier üppigst vorzitiert werden, muß die Band nicht erst aus einem hermetischen System wie der Hamburger Schule raus, um Popstar zu werden. Münster rockt. Und hat keine Credibility zu verlieren, da Credibility ohnehin nur grammweise vorhanden ist. Welche Steine soll einer auch aufheben, wenn er von der ersten Platte an bei Sony im Glashaus sitzt.

„Zuckerkick“ also: noch vor „Posen“ die strategischste Platte dieser Saison, von Händlern empfohlen, von der Szene gedisst. So dreist dieses Buhlen um üble Dinge wie „Marktsegmente“ auch sein mag, es stellt die wichtigen Fragen zur richtigen Zeit: Wie aufnahmefähig ist der Mainstream für popgewordenen Deutschrock? Und wie erfolgreich darf eine Band sein, die nicht mehr Blumfeld und noch nicht Selig sein will?

Vom Cover runter graust eine von diesen naiven Malereien, Marke Schneider-Taschenbuch, was wohl wie im Falle Toco heißen soll: Die liberalen Pullis, in die uns unsre Eltern zwängten, die, he he, ziehen wir jetzt erst recht an. Sonst werden keine Beschädigungen ausgestellt, keine verlorenen Schlachten angezettelt, kein Kampf gegen niemand. „Ich seh gern fern / und bin dafür, daß man Haie in Ruh läßt und Thunfische tun läßt / und Delphine denken, Delphine denken nach ...“ Words in context, lustiges Tieralbum. Die Texte sind entweder arty-smartie oder so im Stil von „Stimmt-Texte- brauchen-wir-ja-auch-Noch“. Ist da eventuell ein Lyrikverarbeitungsprogramm mit einem Gameboy kurzgeschlossen worden?

„Bin Pionier in ihrem Bauch“ – „Ich lauf ein und komm nich rein, oder werd ich klein?“ Das ist natürlich pubertärer Krampf auf Reflexionsstufe sexeinhalb, aber im Zweifelsfall ist mir doch jede über sich selbst aufgeklärte Pubertät lieber als alle Spielarten falsch verstandener Erwachsenheit. Popmusik für Leute, die fast ihr Abitur gemacht hätten. Ölgetränkt, herbfrisch.

Bei aller Dressed-for-Success- Taktik wissen natürlich auch Knut, Götz und Thomas nicht so recht, was sie tun (sollen). Schon gar nicht nach einem auf so naheliegend-unspektakuläre Weise verstörenden Debüt. Und wenn man nicht weiß, was man tun soll, muß man etwas machen. Und etwas anderes lieber lassen. Und der Herr gebe ihnen die Gelassenheit, das eine vom anderen zu unterscheiden, aber dalli! Oliver Fuchs

Samba: „Zuckerkick“ (Sony)

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