: „Libellenzähler reichen nicht“
Wie will Hans-Peter Gensichen (57) leben? Der Pfarrer leitet seit 1975 das von der evangelischen Kirche eingerichtete Kirchliche Umweltforschungsheim in Wittenberg. Gensichen war bis 1998 Kurator der „Deutschen Bundesstiftung Umwelt“ und ist jetzt Kurator der „Naturstiftung David“
Interview NICK REIMER
taz: Die Bundesstiftung Umwelt feierte kürzlich ihr zehnjähriges Jubiläum. Wer war zur großen Feier geladen?
Hans-Peter Gensichen: All die Leute, die irgendwann mal Fördermittel beantragt haben – also von Verbänden, die Umweltbildung machen, bis zum Herrn Hipp, der Babynahrung herstellt.
War das die Umweltbewegung, die da feierte?
Die Frage habe ich mir auch gestellt. Betrachten wir es so: Die bunte Runde war ein Querschnitt von dem Teil der Umweltbewegung, der von einer großen Stiftung Geld bekommt.
Geld allein macht keine Bewegung. Was kennzeichnet Umweltbewegung?
Bewegung ist davon gezeichnet, dass sie Pioniergedanken gebiert und als Pioniertaten in die Gesellschaft einbringt. Die Zeit der Pionierleistungen zum Thema Umwelt scheint vorbei. Die Gesellschaft hat heute in sich das verankert, was Umweltbewegung einst an sie herangetragen hat. Die Elbe ist jetzt sauberer, das Atomausstiegsgesetz unterschrieben, Umweltschweinereien werden geahndet, und meinen grünen Punkt gebe ich jetzt auch immer ordnungsgemäß ab. Aus der Verbreitung der Pioniergedanken ist eine Massenhaftigkeit geworden – eine gesellschaftliche Norm also.
Schön! Dann hat die Umweltbewegung gesiegt?
Nur in gewisser Hinsicht. Die kleinen Siege bergen eine große Niederlage: Unsere Gesellschaft glaubt heute, Umweltbewegung sei nicht mehr nötig. Der Staat hat das kapiert, was die Bewegung in ihrer Pionierzeit eingefordert hat.
Hat er?
Ja, mehr als die alten Umweltbewegten wahrhaben wollen. Das bedeutet doch aber nicht, dass es keine Umweltprobleme mehr gibt. Die sind so akut wie vor 20 Jahren, haben sich nur verlagert. Schauen Sie sich unseren hemmungslosen Umgang mit Ressourcen an!
Folgt man Ihrer Logik, braucht es doch nur neue Pionierleistungen!
Die Verbreitung der Pioniergedanken hatte zwangsläufig zur Folge, dass es im „Gehirn“ der Umweltbewegung zur Verflachung kam. Verflachung bedeutet Stillstand. Im Strudel der Veränderungen ist der Umweltbewegung nicht viel Neues eingefallen. Bewegung ohne Ideen ist aber keine Bewegung mehr.
Welche Probleme heute erfordern Pionierleistungen?
Seit 300 Jahren wird uns gesagt: Gesellschaften können nur funktionieren, wenn sie wachsen. Der Club of Rome hat aber 1972 erstmals gesagt: Das größte Umweltproblem ist das Wachstum. Wir wachsen uns kaputt. Erstmals erleben wir jetzt in Ostdeutschland eine Gesellschaft, die schrumpft. Die Leute gehen dorthin, wo Arbeit ist – in den Westen. Die Folge: Vom Intelligenzquotienten über das Arbeitsaufkommen bis zur Bevölkerungszahl, von der Kaufkraft bis zur Zahl der Schulen oder Ärzte – alles schrumpft. Wie eine Gesellschaft unter den Bedingungen von Schrumpfung funktionieren kann, wissen wir aber nicht. Umweltbewegung hat also in Ostdeutschland ein phantastisches Experimentierfeld, auf dem man das umsetzen kann, was die Umweltweisen vom Club of Rome uns als Lösung der Menschheitsprobleme geraten haben.
Nimmt die Bewegung das wahr?
Nein, sie hat das noch nicht als Chance begriffen. Ost wie West – Umweltbewegung registriert das allenfalls als schlimmen Sachverhalt, mogelt sich durch, macht ihre alten Themen weiter.
Sie fordern, dass Umweltbewegung gesellschaftspolitischer wird?
Ja. Libellenzähler sind nette, wichtige Leute, die gebraucht werden. Aber das reicht nicht. Wenn die Naturschützer einen Truppenübungsplatz aufkaufen, um daraus ein Naturschutzgebiet machen zu wollen, ist das ein tolles Ding. Aber das ist punktuell und ändert nichts an gesellschaftlichen Strukturen, die Truppenübungsplätze hervorbringen.
Als Geschäftsführer des Kirchlichen Forschungsheimes sind Sie Teil der Bewegung. Wie versuchen Sie, solcherlei Anspruch umzusetzen?
Wir versuchen mittels punktueller Projekte, Bogen in die Gesellschaft hinein wachsen zu lassen. Ein Beispiel: Wir haben gerade ein Projekt das „Biotopverbund durch Kirchenland“ heißt. Eigentlich ist das nichts anderes, als Hecken zu pflanzen. Das ist gut für die Bodenfeuchtigkeit, gut gegen Erosion, als Lebensraum für Kleintiere. Andererseits ist das Heckenpflanzen eine Vorarbeit für den biologischen Landbau. Wir brauchen nicht zu sagen: Wir wollen hier Ökobauern ansiedeln. Die Diskussion „Wie wollen wir uns und die Welt künftig ernähren?“ können wir dadurch aber vor Ort in Gang bringen. Vielleicht hat das ja zur Folge, dass jemand nicht in Bayern Arbeit sucht, sondern hier eine neue Form von Landwirtschaft probiert.
Sie sind als Stiftungsrat für die Fördermittelvergabe zuständig. Welche Projekte würden Sie gern fördern?
Bildungs- oder Kommunikationsprojekte. Denkfabriken.
Bis 1998 waren Sie Kurator der Bundesstiftung Umwelt. Von Antragstellern genau solcher Projekte ist immer wieder zu hören, dass sie dort einen schweren Stand haben. Warum?
Wenn dort solche Anträge eingereicht werden, gibt es bei einigen Kuratoren Vorbehalte. Was werden die wohl mit unserem Geld machen? Wenn jemand das nicht tropfende Öl entwickeln möchte, wissen das die Kuratoren zwar auch nicht. Aber das ist technisch, hat mit Forschung zu tun und ist irgendwie griffig. Wenn es aber darum geht, an einem Gymnasium eine neue Bildungsmethode in Sachen Umwelt zu fördern, fehlt die Kraft, sich Sinn und Resultate vorzustellen. Viele Umweltbildungsprojekte werden abgewiesen, weil es im Kuratorium der Bundesstiftung eine Angst vor . . . ich weiß auch nicht wovor . . . gibt.
Groß in Mode ist das „Fit machen für die Zukunft“. Was muss Umweltbewegung tun, um zukunftsfähig zu sein?
Sie muss zukunftsfähig sein. Wer das Postulat der Nachhaltigkeit nicht nur predigt, sondern auch umsetzt, der ist per se zukunftsfähig . . .
. . . ein philosophischer Ansatz. Mit der Realität hat er wenig zu tun.
Sicherlich, das zu Grunde gelegt, ist Umweltbewegung heute nicht zukunftsfähig. Im Umkehrschluss kann das aber nur bedeuten: Wir gehen die Themen, die wir als richtig erkannt haben, falsch an. Und jetzt wollen Sie bestimmt von mir wissen, wie man es richtig macht.
Ja, natürlich. Haben sie eine Idee?
Das ist schwierig. Von der Soziologie her ist es wohl so, dass man am ehesten Bürgerinitiativen zusammenbekommt. Initiativen, die sich bei einem Thema ad hoc bilden und wieder zerfallen. Solche aber machen noch keine Umweltbewegung aus. Es muss deshalb Kerngruppen geben, die in der Lage sind, daraus größere Impulse abzuleiten.
Umweltbewegung als Dienstleister für Bürgerinitiativen?
Genau so. Leute die sich mit Vernetzung auskennen, mit Kampagnen, mit Pressearbeit. Eine gewisse handwerkliche Kernkompetenz also. Aber nicht nur das. Ich meine mit Impuls auch, aus lokalen Engagements neue Pionierarbeiten für die Gesellschaft zu generieren.
Die Bedrohung der Umwelt heißt eher Treibhauseffekt als Umgehungsstraße. Welchen Beitrag kann Umweltbewegung zu den globalen Problemen leisten?
Da beobachte ich mich selbst: Mir fällt es unendlich schwer, irgendein Interesse für ein polnisches oder tschechisches Problem zu entwickeln, obwohl mich das ja angesichts der EU-Erweiterung schon irgendwie selbst betrifft. Ich bin aber nun mal Deutscher und meine Betroffenheit reicht bis zur Grenze. Wenn ich mich hochrechne, ist bei den globalen Problemen tatsächlich nichts von der Umweltbewegung zu erwarten.
Obwohl die ungleich schwerwiegender sind als die Umgehungsstraße.
Meine Frau leitet einen Weltladen. Bilanzieren wir mal, dass da sowieso nur die Interessierten hinkommen. Wenn Sie denen einen Zettel mit Informationen zu vermehrten Wirbelstürmen in Afrika in die Hand drücken, wehren die ab. Menschen lassen sich nur von den Dingen anspitzen, die Ihnen stinken. Und das ist eben nicht die Dürre in Afrika, sondern die Umgehungsstraße – obwohl es zwischen beidem ja Zusammenhänge gibt. Insofern ist die Umgehungsstraße wichtiger als der Treibhauseffekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen