: Level zero
■ Jede Menge Anleihen: "Spiel um dein Leben", ein Cyber-Thriller (20.15 Uhr, ARD)
Ein „Thriller“ soll das sein, was der für dieses Genre hoch gelobte Friedemann Fromm heute vorführt. Jedenfalls behauptet das der Bayrische Rundfunk. Die Story: Im Leben Ben Beckers, Taxifahrer und pleite, häufen sich seltsame Zufälle. Er bekommt plötzlich viel Geld und verliebt sich. Toll. Dann ist das Geld wieder weg, und die Frau, die er meint beim Bumsen umgebracht zu haben, auch. Verzweifelt sucht er sie, stößt dabei auf ihre Schwester – und neue Zufälle.
Allein: Den „thrill“ dabei verhindert der Regisseur geradezu planmäßig, indem er – kleine Anleihe bei Bertolt Brecht – durchgehend das Stilmittel der Verfremdung einsetzt. Abschnitt für Abschnitt, neudeutsch „Level“ genannt, unterbricht er die Handlung, und der Zuschauer erfährt per Monitoranzeige stichwortartig, was gleich passieren wird: „Erste Hilfe/Polizei/Selbstmord?“ Außerdem werden – diesmal kleine Anleihe bei Resnais' „Smoking/No Smoking“ – mehrere Verlaufsvarianten erörtert: Folgt auf „Verführung, Verzweiflung, Hoffnung“ nun „Erkenntnis“ oder nicht? Soll „Level 5“ zum Finale „Tod“ führen oder zu „Liebe“?
Bei der filmischen Ausgestaltung bedient sich Fromm so augenfällig ambitioniert der Fähigkeiten von Kollege Computer, daß man meinen könnte, eine Preisverleihungsszene am Ende des Films sei in eigener Sache gedacht. Prämiert wird darin das „innovativste Spiel des Jahres“. Genre Science-fiction also – wäre da nicht noch eine weitere Anleihe: die bei Platon und seinem Höhlengleichnis. Fromm übersetzt es ins eben anbrechende Zeitalter virtueller Welten. Fazit: „Ein Lügner, der hundert Prozent an seine Lügen glaubt, lügt nicht, er erschafft Realität. Wirklichkeit ist wahr, weil wir wollen, daß sie wahr ist.“ Zur Aufführung gelangt mithin eine zeitgeistig verpackte Parabel. Und weil Advent ist, auf den gleichfalls Bezug genommen wird, ist die Geschichte auch eine besinnliche „mit Happy-End: Der Held gewinnt und bekommt die Frau.“
Platon kommt sogar selber vor, personifiziert durch „die deutsche Antwort auf Bruce Willis“, wie Darsteller Heino Ferch bei Talkshows schon apostrophiert wurde. Platon philosophiert aber natürlich nicht griechisch, sondern übers Angeln, ist angeblich Taxifahrer und Ben Beckers Freund, tatsächlich aber der Hauptakteur, der Kopf im Spiel mit den Wirklichkeiten, der vorwärtstreibende Cyberfreak, der Herr der Stichworte, der nur eines nicht weiß: daß irgendwo in den Weiten des Cyberspace, auf dem virtuellen Olymp vielleicht oder in ihm selbst, ein Etwas ist, das auf „Level 5“ für die Variante „Tod“ ein Password verlangt.
Das hingegen weiß die einzige Frau im Spiel, als Doppelfigur gegeben von Natalia Wörner: Eva (!), Schlange und gute Fee, Platons Complement und Regulativ, Ben Beckers Leid und Hauptgewinn.
Der ist, auch wenn er hartnäckig Nick genannt wird – Ben Becker. Und wahrscheinlich ein verkannter Komiker. Rundlich-rosig zeigt er sich und spricht Ben-Becker- Sätze, auch wenn diese offiziell von Autor Christian Jeltsch stammen sollen. Als symbolhaftes Requisit hat er ausgerechnet ein Blasinstrument in Phallusform, welches ihm allerdings unter dramatischen Umständen ganz schnell abhanden kommt. Fortan bläst er nur noch auf dem Mundstück und wird auch sonst vom Schicksal gebeutelt: Level zero. Sein Hang zur übervirilen Selbstdarstellung, Marke „harte Schale, weicher Kern“, im Pressetext höflich als „kraftvoll“ bezeichnet, zerfließt deshalb – oder auch vielleicht weil Advent ist – in ebenso „kraftvoll“ aufgetragene Sentimentalität: Anhaltend heult Ben Rotz und Wasser, als es gilt, tiefen Seelenschmerz darzustellen... Ulla Küspert
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