Letzter Waffenshop in San Francisco: Der finale Kaufrausch

Im liberalen San Francisco macht der letzte verbliebene Waffenladen dicht. Die Betreiber kapitulieren vor der staatlichen Regulierung.

Steven Alcairo

Steven Alcairo hat am Samstag seine letzte Schicht im Waffenladen Foto: Havertz

SAN FRANCISCO taz | „Guns“ steht in großer, schnörkelloser Schrift über der Tür des weißen Hauses in der Mission Street. Gleich nebenan eine Bar, „Iron & Gold“. An diesem Vormittag ist die Tür der Bar noch verriegelt, die Leuchtreklame aus. Wenn sie aber am Samstag den Gehweg wie jede Nacht in gelbes Licht taucht, wird Steven Alcairo bei seinem Nachbarn im „Iron & Gold“ sitzen und mit seinen zwei Kollegen ein Bier trinken. Es wird ein Abschiedsbier sein.

Alcairo ist Manager des einzigen Waffengeschäfts in San Francisco. Seit 1952 gibt es den Laden im Südosten der Stadt. Am 31. Oktober wird Alcairo die zwei vergitterten Türen des Ladens zum letzten Mal für Kunden öffnen. „High Bridge Arms“ macht dicht, ab November wird es in der kalifornischen Stadt legal keine Waffen mehr zu kaufen geben.

Die Regale sind schon drei Tage vorher leer, an den Wänden hängt noch vereinzelter Nippes, Accessoires für Waffen, die hier nicht mehr über den Tresen gehen. Hoch oben an einer Wand des kleinen Geschäfts ist ein ausgestopfter Puma ausgestellt, Besitzer Andy Takahashi hat ihn selbst einst in Montana geschossen. Jäger, Sportschützen, gute Bürger – das sind seine Kunden, sagt Steven Alcairo, der die Haare kurz trägt und den Blick immer geradeaus richtet. Und die will er nicht weiter drangsaliert sehen durch immer neue Anti-Waffengesetzgebungen in der Stadt. „Es ist einfach zu frustrierend“, sagt der 41-Jährige, der an einem seiner letzten Arbeitstage unter dem schwarzen Kapuzenpullover eine Pistole der Marke Kimber am Gürtel trägt, Kaliber 45, acht Schuss. Sein Kollege trägt eine Waffe des deutschen Herstellers Heckler & Koch.

Wollten sie Pistolen, Gewehre oder auch nur Munition künftig weiterhin in San Francisco verkaufen, müssten sie ihre Kunden beim Kauf und beim Verlassen des Geschäfts filmen. Eine Idee von Politiker Mark Farrell, die er im Sommer vorgeschlagen hat. Die Videos müssten gespeichert und der örtlichen Polizei übermittelt werden. „Sie sollten lieber die Kriminellen filmen, wenn sie ihre Waffen auf der Straße verkaufen“, sagt Alcairo. Ob der „Board of Supervisors“, der ähnlich wie ein Stadtrat agiert, für die härteren Regulierungen votiert hat, hat Alcairo gar nicht mehr verfolgt. Es spielt keine Rolle mehr. Bei High Bridge Arms hatten sie nach dem Vorschlag allein einfach genug. Genug von Regulierungen, genug von Diskriminierungen, genug von allem. „Die Politiker glauben, unsere Kunden sind eine Gefahr.“ Alcairo schüttelt den Kopf, wenn er über diese Politiker spricht. Sie haben nichts verstanden.

Alles nur Show

San Francisco sei einst eine Stadt voller Toleranz und Akzeptanz gewesen, was habe man hier nicht alles erreicht, zählt Alcairo auf: die Gleichstellung Homosexueller, die Freigabe von Marihuana für medizinische Zwecke, Freiheiten, die das Image San Franciscos prägten und bis heute prägen. Alles nur Show, sagt Alcairo, wenn man nicht auch ihn, seine Kunden und das Recht auf eine Waffe akzeptiere.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Der zweite Zusatz in der Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert dieses Recht. Für den 41-Jährigen ist es nicht nur ein Recht, es ist die Wahrheit. Es stammt aus einer Zeit, als die Amerikaner sich ihre Freiheit in einer Revolution erkämpften. Weit über 200 Jahre ist das her. Heute wird auf den Straßen Amerikas mit geschätzten 300 Millionen Waffen in Privatbesitz keine Revolution mehr ausgekämpft. Es ist ein Kulturkampf, immer wieder auch blutig, wenn er Todesopfer fordert.

In keinem anderen westlichen Industrieland sterben mehr Menschen durch Schusswaffen als in den USA. Alcairo hält hinter seinem Tresen stehend dagegen, mit Zahlen und Statistiken von Menschen, die bei Autounfällen sterben, oder durch Alkohol, Zigaretten oder Medizinfehler. „Aber klar, jemand, der mit einer Waffe an eine Schule geht und um sich schießt gibt ein viel furchtbareres Bild ab als jemand, der durch einen Medizinfehler stirbt“, sagt Alcairo gänzlich ohne Zynismus in der Stimme.

Die letzten Bilder eines solchen Massakers sind noch nicht alt. Im Oktober erschoss ein 26-Jähriger am Umpqua Community College in Roseburg, Oregon, neun Studenten und starb selbst in einem Schusswechsel mit der Polizei. 13 Waffen, von Pistolen bis zu Gewehren, wurden im Umfeld des Täters sichergestellt. Es war laut der Organisation „Everytown for Gun Safety“ der 45. Amoklauf allein in diesem Jahr in den USA.

Strikte Gesetzgebung

„Der leichte Zugang zu Waffen und Munition trägt zu sinnloser Gewalt hier in San Francisco und im ganzen Land bei“, heißt es im Statement von Politiker Mark Farrell, mit dem er die weitere Regulierung von Waffenverkäufen begründet hat. Sein Vorschlag wurde am 27. Oktober vom „Board of Supervisors“ einstimmig angekommen, frühestens im Dezember werden die neuen Regeln zum Tragen kommen.

High Bridge Arms wird sich darum nicht mehr kümmern müssen. Dabei hängen über den Holzregalen bereits Kameras. Wie lange genau die Daten gespeichert werden, sagt der Manager, der den Landen zehn Jahre geführt hat, nicht. Nur so viele: mindestens einen Monat. San Francisco hat bereits eine strikte Gesetzgebung. Das „Law Center to Prevent Gun Violence“, eine Non-Profit-Organisation, vergibt jedes Jahr Noten für die US-Bundesstaaten und ihre Waffengesetzgebung. Kalifornien hat im Jahr 2014 eine 1- bekommen. Eine 1 bekam kein Staat. Texas oder auch Kaliforniens Nachbarstaat Nevada, wo es kaum Regulierung gibt, erhielten eine 6.

Steven Alcairo wühlt in einem Stapel Papiere, die vor ihm auf der ansonsten leeren Glasvitrine liegen. Er sucht ein Papier, das er zeigen kann, ohne den Kundennamen preiszugeben. Wer in der Stadt eine Waffe kauft, braucht eine Lizenz, muss einen Stapel Papiere ausfüllen, zehn Tage warten und kann erst dann zurückkommen, um die Waffe abzuholen. Auf den Papieren zeigt Alcairo auf einen Fingerabdruck. „Der Staat hat doch schon alles von meinen Kunden“, sagt er. Name, Adresse, welche Waffe gekauft wird und den Fingerabdruck.

Wozu braucht die Polizei in San Francisco noch eine Aufnahme vom Kauf der Waffe? „Damit unterstelle ich meinen Kunden etwas, das ich nicht möchte“, sagt Alcairo. Deswegen fiel im September die Entscheidung, den Laden zu schließen. Auf die Facebook-Ankündigung folgten freundliche Worte der Kunden – und ein letzter Kaufrausch. Das Lager von High Bridge Arms ist leer. An diesen letzten Tagen öffnen sich die zwei Türen zum Geschäft nur noch für Kunden, die eine Waffe bestellt haben. Neben der leeren Vitrine steht ein Kunde und holt sein großkalibriges Gewehr ab. Ein Sportschütze. Er verabschiedet sich mit Handschlag von Alcairo und wünscht ihm viel Glück.

Der Frust ist groß

Seit 1998 ist der ehemalige Bodyguard im Waffengeschäft, er bezweifelt, dass er weitermacht. Der Frust ist zu groß. Die ganzen neuen Gesetze würden sowieso nichts bringen, denn Menschen könne man schließlich nicht kontrollieren. Und Kriminelle erst recht nicht. Und die seien schließlich das Problem. „Diese Menschen achten die Gesetze sowieso nicht“, sagt Alcairo. Es ist das ewige Argument der Waffenbefürworter in den USA, die die Verschärfung von Gesetzen und mehr Regulierung ablehnen. Das Böse im Menschen, das sich nicht aufhalten lässt. Kein Amokläufer legt die Waffen weg, weil es verboten ist, Schüler an einer Grundschule zu erschießen. Das ist die Logik derer, die den Revolver am Gürtel tragen.

Was den Amokläufer abhalten würde, ist aus der Perspektive der Waffenfreunde klar: bewaffnete Polizei oder Sicherheitspersonal. Wer marschiert schon in eine Schule, von der man weiß, dass sie mit Waffen geschützt wird? Aber was ist dann mit Kinos, Shopping Malls oder Cafés, Mr. Alcairo? „Ich hätte kein Problem damit, wenn dort Menschen mit Waffenfür Sicherheit sorgen würden.“ Das wäre auch gut fürs Geschäft. Ein Geschäft, das auch im linken San Francisco noch profitabel war, sagt Alcairo. Sechs bis zehn Waffen hat er im Schnitt an einem guten Tag verkauft. Seit der Ankündigung, den Laden aufzugeben, waren es noch mehr.

Die Kunden werden künftig woanders einkaufen müssen. Alcairo hat nie einen Gedanken daran verschwendet, selbst ein Geschäft aufzuziehen. Im Januar wird er Vater. Einen Waffenladen in San Francisco aufzumachen koste zu viel Energie. Vielleicht kehrt er ins Hotelbusiness zurück, auch das hat er schon mal gemacht. Aber erst einmal verkauft Steven Alcairo noch die letzten Waffen in San Francisco. Bis am Samstag das gelbe Licht der Bar nebenan das dunkle Waffenschild endgültig überstrahlt.

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