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Lettlands „informeller“ Morgenstern

Ein Gespräch mit Ivar Zukovskis, dem Herausgeber der lettischen Zeitung 'Auseklis‘ ('Morgenstern‘)  ■ I N T E R V I E W

Juris Kaza: Erzählen Sie uns über 'Auseklis‘: Wie wird die Zeitung gemacht, worüber berichtet sie und seit wann existiert sie?

Ivar Zukovskis: 'Auseklis‘ ist eine unabhängige, sozialpolitische Zeitung, eine „informelle“ Publikation, wie wir es nennen, und sie wird seit September 1987 herausgegeben. Bisher haben wir acht Ausgaben produziert. Anfangs beschäftigte sich die Zeitung vor allem mit den laufenden Ereignissen in Lettland, also mit Informationen zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen und den Aktivitäten verschiedener gesellschaftlicher und politischer Gruppen, ihren Positionen. Inzwischen gibt es jedoch mehr informelle Publikationen, und 'Auseklis‘ fängt jetzt an, mehr und mehr analytische Artikel zu veröffentlichen, die eine theoretische Grundlage für die verschiedenen sozialen und politischen Positionen in Lettland suchen.

Wie sieht 'Auseklis‘ aus, und wie geht die Verteilung vonstatten?

'Auseklis‘ wird publiziert als Typoskript. Die Redakteure produzieren selbst nur 50 Exemplare; die werden von Hand zu Hand weitergegeben und dann an verschiedenen Orten reproduziert. Soweit ich weiß, zirkulieren auf diese Weise mehrere Tausend Exemplare in Lettland.

Wie haben die Behörden auf das Erscheinen der Zeitung reagiert?

Ganz am Anfang, als wir die Idee für 'Auseklis‘ hatten, haben wir uns beim (lettischen) Ministerrat um einen legalen Status bemüht. Aber der hat unseren Antrag abgelehnt, seitdem veröffentlichen wir illegal, wenn auch nicht als Untergrundzeitung. Wir arbeiten nicht von einem Versteck aus, aber wir haben keine offizielle Lizenz. Zu Beginn gab es einige Versuche der Behörden, uns einzuschüchtern, die Veröffentlichung von 'Auseklis‘ einzustellen, aber das hörte bald auf. Jetzt gibt es praktisch keine Hindernisse bei der Arbeit mehr.

Welche Strafandrohungen gab es; Geldstrafen oder auch andere Maßnahmen?

Ja, Geldstrafen, Prozesse, Gefängnis. Aber nichts wurde in die Praxis umgesetzt, es blieb bei den Drohungen. Inzwischen wird 'Auseklis‘ ohne Zwischenfälle produziert. Ganz am Anfang hat man uns einmal das Manuskript einer Ausgabe schlicht gestohlen, beim zweiten Heft war das. Das mußten wir nochmal schreiben.

Wie sieht die Zukunft für 'Auseklis‘ - und die informelle Presse insgesamt - in der jetzigen politischen Situation aus, nachdem, sich Interfront1 formiert hat und führende KP -Sprecher drohende Reden geschwungen haben? In diesen Reden wird 'Auseklis‘ immer wieder ausdrücklich erwähnt.

Trotz dieser Drohungen werden wir unsere Arbeit fortsetzen. Wir hoffen, daß es bei Drohungen bleibt, denn bisher war es so, daß die Behörden, wenn sie nur die entsprechenden Weisungen aus Moskau kriegten, gehandelt haben. Da drohte man nicht, sondern handelte gleich. Und jetzt werden wir eben ab und zu bedroht. Das ist schlecht. Die Situation wird dadurch nicht entspannt, aber an unserer Arbeit wird das nicht viel ändern.

Wenn alles klappt, wieviele Ausgaben wird es dann in diesem Jahr geben?

Wenn alles gut geht, werden wir 'Auseklis‘ einmal im Monat rausbringen, mit einem Umfang von 90 bis 100 Seiten pro Ausgabe.

1 Interfront ist die Organisation der in den baltischen Ländern lebenden Russen, als Gegengründung zu den seit 1988 existierenden jeweiligen Volksfronten.

Juris Kaza, in Stockholm lebender Index-Korrespondent, führte dieses Interview Anfang des Jahres mit Zukovskis, der sich zu einem privaten Besuch in Stockholm aufhielt. Zukovskis, lange politischer Gefangener, lebt heute in Jelgava, Lettland.

'Auseklis‘ wird im Westen (in lettischer Sprache) nachgedruckt von 'Memento‘, Verlags- und Informationsdienst, Box 7241, 10389 Stockholm, Schweden. Bei 'Memento‘ sind auch englischsprachige Zusammenfassungen von einigen 'Auseklis' -Ausgaben erhältlich.

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