LeserInnen zum Fischer-Kotau: Viel Lärm um (fast) nichts
betr.: „Joschka Fischer im Faustkampf“, taz vom 4. 1. 01
Finde es schade, dass es immer wieder diese leidige Diskussion über „des Politikers Vergangenheit gibt“.
Im Falle Fischer ist es doch so, dass seine Vergangenheit in einer sehr wichtigen Zeit unseres Landes steht, einer Zeit des Umbruchs, der von der Jugend gemacht wurde und nicht von irgendeinem Parteienwechsel mit dem Slogan „Wir machen alles besser.“ Schon einmal was von Generationswechsel gehört?
Nicht dass ich gut heiße, was Herr Fischer alles macht, aber er hat seine eigene Geschichte und mit der muss er leben und sie nicht verstecken, damit er dann mit 70 was auf die Mütze bekommt, weil er angeblich unehrlich war. Und die Union sollte mal lieber kleine Brötchen backen und sich an die eigene Nase fassen, denn für seine Ideale und gegen Ungerechtigkeiten anzugehen ist weit ehrenwerter, als das Volk mit den Schwarzkonten – und was vielleicht noch alles im Dunkeln steht – zu veräppeln. [...]
DANIEL ROSANOWSKI, Wilhelmshaven
betr.: „Die Hybris des Joschka Fischer“, taz vom 5. 1. 01
[...] Wisst ihr nicht mehr, wo der wirkliche politische Gegner steht? Desgleichen scheint euer Vorstellungsvermögen, wie schwierig es ist, linke und ökologische Fortschritte in der praktischen Politik durchzusetzen, an Realitätsverlust zu leiden. Linke Politik ist eine Sisyphusarbeit – obwohl die Bündnisgrünen mit an der Regierung sind. Und Fischer ist einer dieser Sisyphusarbeiter. Ich wünsche mir dringend, dass ihr unsere Leute unterstützt, statt sie zu demontieren. BARBARA JAKOB
[...] Ich erinnere mich noch genau an meine Schulzeit, in der der Biologie- und Erdkundelehrer die Apartheid in Südafrika mit dem Argument gerechtfertigt hat, „Neger hätten mehr Schweißdrüsen als Weiße pro Quadratzentimeter Haut“. Dieser Lehrer hatte in der deutsch-südafrikanischen Gesellschaft, die nicht nur die Fäden für geheime U-Boot-Deals knüpfte, mächtige Freunde. Und wir, die wir dagegen Sturm liefen, risikierten den Schulverweis. Ich erinnere mich auch noch gut an meinen besten Schulfreund, dessen Vater mit körperlicher und psychischer Härte seinem Sohn die extrem konservativen Ansichten eines Heimatvertriebenen einzutrichtern versuchte.
Heute sind meine Kinder so alt wie ich es war, als wir als Schüler zu rebellieren begannen. Sie und ihre vielen FreundInnen wachsen in einem Umfeld auf, das wesentlich freier ist. Und man kann über den Kosovo-Einsatz sicher geteilter Meinung sein, nur die Politik eines Joschka Fischer ist zweifelsohne Meilen von dem entfernt, was unter der Erhard-Regierung getrieben worden ist. [...] Das ist nicht das persönliche Verdienst Fischers, aber eben auch Resultat einer gesellschaftlichen Entwicklung, die er mit angestoßen hat. Unsere Generation mit Skinheads von heute auf eine Stufe zu stellen, ist deshalb nicht nur geschmacklos, sondern auch völlig ahistorisch. ROGER PELTZER,
Fraktionsvorsitzender B 90/Grüne im Rat der Stadt Kerpen
betr.: „Die Gewalt war beidseitig“, taz vom 6./7. 1. 01
Ich kann dem Kommentar von Jony Eisenberg nur voll und ganz zustimmen. Die Gewalt war beidseitig und ging in mindestens 90 Prozent der Fälle von der Polizei aus – und dass das heute trotz Grün immer noch so sein kann, zeigen die Castortransporte. Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Zudem: Woher will Fischer wissen, ob nicht ein großer Teil einer Generation Grün wählt, weil es gemeinsame Erfahrungen mit/gegen die Staatsgewalt gibt? ILSE MEIER, Flörsheim
Ich fürchte, Herr Eisenberg hat überhaupt nichts verstanden. Weder, warum sich Fischer entschuldigt hat, noch dass man mit seiner Einstellung, die Gewalt legitimiert, wenn sie Antwort auf Gewalt darstellt, nirgendwo auf der Welt Konflikte löst. Angesichts der geballten Rechtfertigungen der damaligen Aktionen mutiert sein Bekenntnis zur gewaltfreien Konfliktlösung im letzten Satz zum reinen Lippenbekenntnis. Der Beitrag trieft vor Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit. WERNER HÖING, Münster
betr.: „Unter Beschuss“, taz vom 8. 1. 01
Bayerns Innenminister Beckstein hat den Rücktritt von Fischer verlangt. Es sei unerträglich, dass „Deutschland einen ehemaligen Gewalttäter zum Außenminister hat“. Ehemalig? Könnte es sein, dass Herr Beckstein – wie die vielen Sozialdemokraten, die die 68er-Militanz von Fischer auf einmal gar nicht mehr so schlimm finden – mal kurz im Lexikon nachlesen sollte? Unter „K“ wie „Krieg“ und „Kosovo“?
Aber die Wandlung vom Militanten zum Krieger gilt ja in diesem Lande als die von Saulus zu Paulus. So wie das Schreckliche an der DU-Munition, die die USA-Nato in Fischers Krieg eingesetzt hat, nicht die Tötung von Serben war. Das sind ja nicht wirklich Menschen, um die zu sorgen sich lohnt. Richtig fürchterlich an der DU-Munition ist ihre Härtung mit Uran, dessen Verflüchtigung in Staub und Einatmung durch „unsere“ Nato-Jungs. Das ist nicht verkehrte Welt, das ist Ergebnis der Tatsache, dass die Herrschenden die Geschichte schreiben.
REINHARD FLACK, Dortmund
Wieder mal viel Lärm um (fast) nichts. [...] Der beliebteste deutsche Politiker hat vor fast 30 Jahren seine Hand gegen einen Büttel der Staatsmacht erhoben. Ja und, wo ist da die Neuigkeit fürs nach Informationen lechzende Volk? Oder gar der Skandal? Solange im CSU-Staat Bayern ein Mann, der 1983 im Suff einen Menschen totgefahren hat, Wirtschafts- und Verkehrminister sein darf, so lange ist jede Kritik der Berliner Opposition und ihr nahe stehender Leitartikler an der Vergangenheit des Bundesaußenministers in gleichem Maße scheinheilig wie die „Enthüllung“ des Stern langweilig. [...] UWE TÜNNERMANN, Lemgo
Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.
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