■ Mit deutschem Papier auf du und du: Lesen ist giftig
Berlin (taz) – Während Sie diese Zeilen lesen, schlägt Ihnen eine kaum spürbare Dunstglocke verschiedener Chemikalien entgegen. Doch sollte sie das nicht von der weiteren Lektüre des Blattes abhalten, denn so ziemlich alles, was sie sonst lesen könnten, ist schlimmer.
Zu diesem Ergebnis kommt zumindest Greenpeace in seiner gerade veröffentlichten Papierstudie. Über 3.000 verschiedene Chemikalien werden für deutsche Zeitungen, Zeitschriften, Werbeprospekte und Spezialpapiere verarbeitet. 400.000 Tonnen chemisch oder biologisch reaktiver Substanzen sind in den 14,6 Millionen Tonnen Papier enthalten, die 1990 im Inland verbraucht wurden.
Am schlimmsten sind Faxpapierrollen und andere Spezialpapiere. Bei Thermopapieren werden für die Herstellung einer Tonne Papier 250 Kilo an Chemikalien eingesetzt, bei Zeitungspapier sind es im Vergleich nur 10 Kilo.
Die Chemisierung des Produktes Papier hat nach den Recherchen der Umweltorganisation in den vergangenen 30 Jahren rapide zugenommen. Während sich der Papierverbrauch verdreifacht hat, ist der Verbrauch an chemischen Hilfsstoffen gleichzeitig um mehr als das Zehnfache gestiegen. Die Werbebranche schraubt die Ansprüche an Druckpapiere immer höher. Und für die Chemieindustrie sind Farbstoffe und andere Papierzusätze inzwischen ein Milliardenmarkt.
Aber nicht nur die absoluten Mengen der chemischen Belastung geben Anlaß zur Sorge. Viele der Chemikalien, so moniert Greenpeace, sind in ihrer Giftigkeit unerforscht. Für rund 1.000 der 3.000 eingesetzten Stoffe gebe es überhaupt keine toxikologische Bewertung. Erforschte Stoffe wiederum gelten als krebserzeugend oder erbgutverändernd.
Der Giftcocktail macht auch das Papierrecycling problematisch. Während die Papierfasern, Füllstoffe und auch ein Teil der modernen Papieren zugesetzten Stärke recycelbar sind, machen die chemischen Komponenten erhebliche Probleme. Wenn nämlich Altpapier zum Einsatz komme, würden Chemikalien nicht mehr nur gezielt und kontrolliert eingesetzt. Arbeitnehmer und Konsumenten hätten es dann vielmehr mit einem Mix von Stoffen zu tun, deren Verhalten zueinander überwiegend unbekannt sei.
Um diesem Dilemma beim notwendigen Recycling zu entkommen, fordert Greenpeace, die Zahl der eingesetzten Chemikalien auf ein Zehntel zu verringern und krebserregende oder dioxinverdächtige Substanzen ganz zu verbieten. Für alle eingesetzen Chemikalien solle die Industrie künftig zudem Informationen über ihre mögliche Giftigkeit vorlegen. Hermann-Josef Tenhagen
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