Leipziger Fanprojektmitarbeiter im Visier: Ausübung der Arbeit als Vorwurf
Die sächsische Justiz sagt, ein Mitarbeiter eines Leipziger Fanprojekts soll Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewesen sein. Und greift zu harten Mitteln.
Gegen 14 Personen aus Leipzig hat die Generalbundesanwaltschaft Dresden, die höchste Anklagebehörde in Sachsen, drei Jahre lang wegen des Tatbestands „Bildung krimineller Vereinigungen“ ermittelt. Sebastian Kirschner, ein Mitarbieter des Fanprojekts Leipzig, zählt zu diesem Personenkreis. Deshalb ist Gabriel am Montag aus Frankfurt am Main angereist, um gemeinsam mit Steffen Kröner, dem Geschäftsführer von Outlaw gGmbH, dem Träger des Leipziger Fanprojekts, den Fall öffentlich zu machen. Kröner sagt: „Wir sind darauf angewiesen, Transparenz zu schaffen.“
Erfahren hat Kirschner davon, weil das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde und die staatlichen Behörden ihrer Informationspflicht über die Schnüffelei nachgekommen sind: Sie hatten über ein Vierteljahr das Handy sowie den Mailverkehr von Kirschner überwacht. Obendrein wurde aus dem Team des Fanprojekts eine weitere nicht in das Verfahren involvierte Person abgehört. Tausende Gespräche mit Fans, Netzwerkpartnern und Journalisten wurden aufgenommen und protokolliert.
Als Betreuer der linken Fanszene von Chemie Leipzig hat Kirschner mit Menschen Kontakt gehabt, die bereits im Fokus der Ermittler standen. Auslöser des Verfahrens waren 16 Vorfälle zwischen den Jahren 2014 und 2016, bei denen Personen des rechten Spektrums „als Nazis beschimpft, verunglimpft und verprügelt wurden“. Das hatte Oberstaatsanwalt Oliver Möller schon im November der Leipziger Volkszeitung gesagt.
Bildungsfahrt in den sächsischen Landtag
Aus den Akten konnte Kirschner entnehmen, dass ihm nicht die Beteiligung an Verbrechen vorgeworfen wurde, sondern schlicht die Ausübung seiner Arbeit. Er sei Teil einer kriminellen Struktur, wurde aufgeführt, weil er für Chemie-Fans den Transport zu Auswärtsspielen und auch rechtliche Beratung organisiere. Auch die Bildungsfahrt mit Fans in den sächsischen Landtag, die unter seiner Leitung stattfand, wird als Beleg für die kriminelle Energie von Kirschner aufgeführt.
Steffen Kröner, der Vorgesetzte von Kirschner, sagt, es sei problematisch, wenn die Arbeitsgrundlage seiner Angestellten, nämlich das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“, auf das sich unter anderem auch die Innenminister der Bundesländer geeinigt haben, Anlass für Ermittlungen gäbe.
Intensive Nachforschungen haben die staatlichen Behörden in Sachsen angestellt. Aus dem Umfeld des Fanprojekts heißt es, dass die drei ihnen vorliegenden Akten zwischen 800 und 900 Seiten umfassen. 70 weitere Akten sollen noch zu dem Fall noch vorliegen.
Leipzig ist vermutlich der komplizierteste Standort für Fanarbeit in Deutschland. Hier überlagern sich verschiedenste Konfliktlinien. Die Rivalität der Traditionsklubs BSG Chemie und Lok Leipzig ist auch von politischer Dimension. Es stehen sich eine links- und rechtsradikale Fanszene unversöhnlich gegenüber. Der Erstligist und Konzernklub RB Leipzig bringt indes nicht nur in der Stadt die Traditionalisten der verschiedensten Ultraszene in Wallung.
Auch angesichts dieser komplexen Gemengelage kommt Gabriel zu dem Schluss: „Das Fanprojekt in Leipzig leistet eine hervorragende Sozialarbeit. Sicherheitsrelevante Vorfälle in Leipzig sind zurückgegangen. Auch von der Polizei und der Politik wird die Arbeit gelobt.“ Diese Anerkennung machte sich jüngst auch finanziell bemerkbar. Der Etat für die sechs Fanprojekte im Bundesland wurde von 220.000 auf 450.000 Euro aufgestockt.
Druck auf Fankprojektmitarbeiter wächst
Michael Gabriel beobachtet in den vergangen Jahren bundesweit eine zunehmende Tendenz, Druck auf Fankprojektmitarbeiter auszuüben. Häufiger als früher würden die bei Verfahren zu Zeugenaussagen gezwungen. Ein Zeugenisverweigerungsrecht, das Gabriel für diese Berufsgruppe für sinnvoll hält, gibt es nicht.
Aus dem Umfeld des Leipziger Fanprojekts ist zu hören, im ersten Moment habe man im Team lachen müssen aufgrund der Absurdität der Ereignisse. Denn die 14 Personen, die der Bildung einer kriminellen Vereinigung verdächtigt wurden, hätten sich teilweise erst nach die Offenlegung der Überwachungsmaßnahmen kennengelernt. Die Angestellten des Leipziger Fanprojekts sind verunsichert. Mit Namen möchte man sich nicht zitieren lassen. Derzeit, erklärt man, überwiege das Gefühl der totalen Ernüchterung und Ratlosigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung