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Leichengeruch

■ Najem Walis „Krieg im Vergnügungsviertel“

Najem Wali, Jahrgang 1956, ist kurz nach Ausbruch des Golfkriegs aus dem Irak geflohen. In seinem ersten Roman beschreibt er nicht den Orient der Märchenerzähler. Thema ist der Golfkrieg und der Krieg schlechthin. Drei Deserteure - es könnten aber auch mehr sein - irren durch eine vom Krieg verödete Landschaft. Hitze und Leichengeruch liegen über der Szenerie. Trotz der allgegenwärtigen Kriegshandlungen bleibt es merkwürdig still. Nicht nur geographisch haben die Männer die Orientierung verloren. Der Krieg hat kaum angefangen, aber er wird noch sehr lange dauern; die Männer ahnen das. Freund und Feind sind nicht klar zu unterscheiden. Die drei könnten ebenso gut Iraner sein, sie gehören eher zufällig auf die irakische Seite. Der Roman spielt nicht in dem Milieu, in dem Pläne gemacht, sondern da, wo sie erduldet werden: die Soldaten werden vom Krieg überfallen, sie führen ihn nicht.

Halb zufällig landen sie im „Vergnügungsviertel“, einem Ort zwischen Basra und der Grenze zu Kuwait. In diesem Zigeunerbordell läßt der Autor seine Gestalten selbst zu Wort kommen. Er schildert ihre Angst, ihren Stolz, ihre Gier, ihren Lebenswillen. Das Buch klagt an, aber es ist nicht selbstgerecht. Es gibt weder Helden noch Märtyrer.

Der Roman präsentiert eine Männerwelt. Auch die Sprache wirkt - sogar in der Übersetzung - eigenartig hart. Der schonungslose Realismus der Schilderungen scheint für arabische Literatur unerhört. Das gilt vor allem für die Darstellung der Sexualität, speziell der Homosexualität.

Besser als die meisten Reportagen aus dem Kriegsgebiet vermittelt dieser Roman einen Einblick in die Motive jener, die fliehen mußten, um ihr Leben zu retten. Sympathisch bleibt vor allem, daß der Autor an keiner Stelle eine überlegene Perspektive einnimmt. Eine Gesamtschau würde dem Krieg im nachhinein einen Funken Rationalität geben, den Najem Wali und mit ihm ungezählte andere nie gesehen haben.

Ingwer

Najem Wali, Krieg im Vergnügungsviertel

Aus dem Arabischen von Jürgen Paul. perspol-Verlag, 166 Seiten, 18,- DM

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