: Leichen aus Amsterdam
■ Blutige Unterhaltung aus Holland: Dick Maas‘ „Verfluchtes Amsterdam“ verbindet Sightseeing mit Action: Spannungsreiche Alltagsbilder einer Großstadt
Amsterdam, das Venedig der Niederlande. Grachten, Käse, Straßenorgeln und - wenn dem Regisseur und Drehbuchautor Dick Maas Glauben geschenkt werden kann - meuchelnde Psychopathen, die den stinkend braunen Fluten des Kanalsystems zwischen Leidse-Plein und De Prins entsteigen, um ahnungslosen Mitmenschen das Lebenslicht auszublasen.
Daß der Neue Niederländische Film auch außerhalb der monarchistischen Grenzen Beachtung gefunden hat, wissen Kenner nicht erst seit Joos Stelling oder Marleen Gorris. Doch in neuerer Zeit mehren sich die Anzeichen einer cineastischen Entwicklung weg von folkloristisch oder spezifisch holländischen Filmthemen hin zur internationalen Produktion. Nach „Rollentausch“, derzeit in den Kinos, läuft nun also der dedektivische Thriller „Verfluchtes Amsterdam“.
„Amsterdamned“, wie der Film im Original heißt, bringt auf professionelle Weise zwei Aspekte unter einen Hut. Zum einen besticht Maas‘ Kinowerk mit präzise fotografierten Action -Sequenzen, die den Handlungsstrang umranken. Gleichberechtigt daneben steht die Sichtweise einer Stadt, die neben den vielen Sehenswürdigkeiten für Touristen auch ihre fade, graue Alltagsseite hat. So spielt Amsterdam die zweite Hauptrolle neben Huub Stapel, der sich als lederbejackter Schnodder-Bulle mit einer beänstigenden Mord -Serie beschäftigen muß.
Das Kamera-Auge schwebt kurz über oder unter der modrigen Wasseroberfläche einer Gracht. Ryhthmische Schnorcheltöne machen die Taucherillusion komplett. Der bedrohliche musikalische Hintergrund steigert die Spannung. Gleich wird etwas Schlimmes passieren. Das Auge schwebt weiter. In einem China-Restaurant verschwindet ein langes Messer. Und wieder taucht der Kamera-Blick zurück in die nächtliche Grachten -Brühe. Eine Frau steht am Quai. Wird sie umgebracht werden? Sie wird.
Anderntags hängt die schwer mißhandelte Leiche kopfüber von einer Brücke herab und hinterläßt eine breite Blutspur auf dem Glasdach eines Grachtenbootes. Keine leichte Kino-Kost also, die Dick Maas da auftischt. Denn dieser Mord bleibt beileibe nicht der einzige. Doch „Verfluchtes Amsterdam“ hört genau da auf, wo die Grenze zur Peinlichkeit überschritten werden könnte. Zu einem soliden „Whodunit„ -Thriller gehören nun einmal „Suspense“ und „action“, sagte der Regisseur in einem Interview einmal, und an diese Regel hielt er sich.
So rasen ein Motorrad und ein Polizei-VW-Golf durch enge Gassen und an Kanälen entlang, scheppert ein Polizeiauto in eine große Straßenorgel, eine Motorboot-Verfolgungsjagd endet nach der blitzschnellen Zerteilung eines Ruderachters im explodierenden Tankschiff. Immer dann, wenn der vermeintliche Täter gefaßt wird, war er's nicht oder
wenn er's war, verschwindet er urplötzlich wieder. Der Wissensstand der Amsterdamer Polizei und somit auch der Zuschauer gleicht einer ständigen Berg-und Talfahrt. Kaum, daß ein Indiz Klarheit zu verschaffen scheint, reißen die unumstößlichen Tatsachen alles wieder ins diffuse Dunkel der Halb-und Unterwelt dieser Großstadt.
Das eigentliche Handlungsgerippe ist recht fleischlos, verglichen mit den aufwendig produzierten Bildern. Doch eine Reihe cineastischer Aspekte machen diesen Film zu einer lohnenswerten Unterhaltung. Huub Stapel als Kommissar ist ein neues, interessantes Gesicht mit schauspielerischen Fähigkeiten. Die Beleuchtung der vielen Nachtszenen stellt eine Qualität für sich da. Kameramann Marc Felperlaan und Cutter Hans van Dongen ist es neben den Verfolgungsszenen gelungen, auch pittoreske Alltagsbilder spannend zu verarbeiten. Eine Bildmontage im Leichenschauhaus endet zum Beispiel unvermittelt als Ketchup-Effekt auf einem Spiegelei.
„Verfluchtes Amsterdam“ löst den Anspruch einer professionellen Kino-Unterhaltung jederzeit ein. Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist im Vergleich zu den meisten anderen Kommerz-Produktionen eine ganze Menge.
Jürgen Francke
NL 1987, Regie, Drehbuch und Musik: Dick Maas; Darsteller: Huub Stapel, Monique van de Ven, u.a; Kamera: Marc Felperlaan
UT 12.30, 15,17.30, 20 Uhr.
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