Lehren aus der verheerenden Pisa-Studie: Ein Ruck nach dem Schock
Die Pisa-Ergebnisse lösen Besorgnis aus, konkrete Verbesserungsvorschläge existieren bereits. Bund und Länder müssten nur endlich handeln.
Z u den verheerenden Pisa-Ergebnissen deutscher Schüler:innen sind diese Woche viele Worte gefallen. Von Kanzler Scholz („besorgniserregend“) bis zu Möchtegern-Kanzler Söder („ein Schlag ins Gesicht Deutschlands“) hat sich die halbe Nation zu einer Stellungnahme berufen gefühlt. Einig sind sich alle in dem vernichtenden Urteil, selbst die sonst so streitlustigen Ampelmänner und -frauen.
Doch wenn es um konkrete Vorschläge geht, wie der Leistungsabfall an Schulen gebremst und die anhaltende Chancenungleichheit abgefedert werden können, ist es schnell vorbei mit der Einigkeit. Bildungsforscher:innen mahnen, wie wichtig eine gezielte Förderung schon im Vorschulalter wäre. Politiker:innen versprechen, den Unterricht so anzupassen, dass wieder alle lesen, schreiben und rechnen lernen. Schulen und Gewerkschaften sehen vor allem im Personalmangel die Ursache für die Misere.
Richtig liegen sie alle. Wobei auf den neuerlichen Pisa-Schock auch die Einsicht folgen muss, dass ein neues Programm hier oder ein paar Millionen da einfach nicht mehr reichen. Bund und Länder müssen handeln – und zwar in allen oben genannten Punkten.
Eine flächendeckende Kita-Versorgung, die so wichtig wäre für benachteiligte Kinder, scheitert vor allem an den oft miesen Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Wenn dem Staat die Bildungsarbeit an einem Gymnasium aber doppelt so viel wert ist wie die in der Kita, wer kann sich da noch über fehlendes Personal wundern? Zumal angehende Erzieher:innen für ihre Ausbildung teils noch immer bezahlen müssen. Motivationsbremse ist für diesen Zustand noch ein freundliches Wort.
Positivbeispiel Hamburg
Ebenso rätselhaft ist, warum die meisten Bildungsminister:innen, die ja gern die gestiegene Heterogenität in Klassen beklagen, nicht konsequent auf frühe Sprachförderung setzen. Wie sehr die helfen kann, macht seit Jahren Hamburg vor – das sich auch deshalb vom Bankdrücker zum (teils) Klassenbesten gemausert hat.
Und, weil es seine Schulpolitik wie kein anderes Land auf Daten stützt. Hamburger Schulen erhalten zusätzliche Stellen, wenn sie im sozialen Brennpunkt liegen oder bei Tests besonders mies abschneiden. Es ist gut, dass der Bund hier die Länder in die Pflicht nimmt und beim geplanten „Startchancenprogramm“ für Brennpunktschulen auf eine Mittelvergabe nach sozialen Kriterien pocht.
Muss sich nur zusätzliches Personal finden. Ihre entsprechenden Pläne haben die Länder am Freitag vorgestellt: darunter ein neuer Master für Ein-Fach-Lehrkräfte und eine bessere Bedarfsprognose. Man muss den Ministerien Glück wünschen – den Kindern zuliebe, die der Staat beim Aufstiegsversprechen bislang im Stich lässt. Traurig nur, dass es dazu eine Pisa-Studie braucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag