: Lehren aus Tschernobyl
■ Zwei sowjetische Wissenschaftler in Bremen
“Wir können uns heutzutage nicht erlauben, vollkommen auf die Atomernergie zu verzichten. Aber wir müssen sie so sicher wie möglich machen“, erklärte Wladimir Wwedenskij, Arzt und Mitarbeiter im sowjetischen Gesundheitsministerium. Der Arzt, der an der Erfassung der gesundheitlichen Folgen der Reaktorkatastrophe arbeitet, ist zur Zeit auf Einladung der Gesellschaft für Strahlenforschung in Bremen. Mit von der Partie ist Wladimir Schikalov vom Kurschatov-Institut in Moskau, der an der Konstruktion des Skophargs für den verstrahlten Block vier beteiligt war. Von Rissen im Beton des Sakophags, die westliche Medien vor kurzem gemeldet hatten, wollte Schikalov nichts wissen. Stattdessen erläuterte er ausfürlich die Konstruktion des Schutzmantels, der den Bau aus statischen Gründen ohnehin nicht hermetisch abriegele. „Im Reaktorgebäude ist es taghell, weil soviel Licht durch den Sakophag fällt“, erklärte er gestern auf einer Pressekonferenz des Bildungswerks für Umwelt und Kultur. In der für Menschen gesperrten unmittelbaren Umgebung des Reaktors herrscht laut Schikalov eine Strahlung, die 300mal höher ist, als die natürliche Strahlung. „Aber bereits in der Stadt Tschernobyl liegt die Strahlung kaum noch über den üblichen Werten“, versicherte er der staunenden Presse. Nachfragen erregten auch die Aussagen von Dr. Wwedenskij zu den gesundheitlichen Folgen der Strahlung. „Statistisch unterscheidet sich der Gesundheitszustand in den kontaminierten Gebieten nur geringfügig von dem anderer Regionen.“ Er schränkte allerdings ein, daß es zu wenig Ärzte und mangelhafte medizinische Ausstattung gäbe. Außerdem sei die Versorgung der Bevölkerung mit unbelasteten Lebensmitteln schwierig.
Inge Schmitz-Feuerhake, Physikerin an der Bremer Uni und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Strahlenschutz, sieht das Ziel des Besuchs der sowjetischen Gäste so: „Wir und unsere Gäste haben unterschiedliche Positionen zur Beherrschbarkeit von Atomanlagen. Trotzdem ist ein Austausch sinnvoll. Gerade alternative Gruppen sollten sich in den Meinungsbildungsprozeß unter den sowjetischen Wissenschaftlern einmischen.“ Auf dem Besuchsprogramm steht außer einem Workshop in der Bremer Uni auch ein Treffen mit dem Freiburger Ökoinstitut.
Schikalov und Wwedenskij können heute abend ab 20 Uhr im Konsul-Hackfeld-Haus ausgiebig über ihre Positionen und Erfahrunhen befragt werden. asp
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