■ Die britischen Tories werden nicht mehr froh:: Ledige Mütter ziehen Verbrecher groß
Dublin (taz) – „Zurück zu den Grundwerten“ – statt Lob und Wahlstimmen bringt den Tories diese Parole nur Hohn und Spott ein (siehe auch „Wahrheit“ von gestern). Es war aber auch geradezu fahrlässig, die eigene Partei als Hüterin der Moral und Retterin der Familie zu feiern, während Minister und Hinterbänkler gleichzeitig ganze Rudel außerehelicher Kinder in die Welt setzen. Daß sie selbst im Glashaus sitzen, wissen die Tory-Strategen eigentlich schon seit 30 Jahren – oder haben sie etwa ihren früheren Kriegsminister John Profumo vergessen, der 1963 über seine Affaire mit Christine Keeler gestürzt ist, weil das Fotomodell gleichzeitig mit dem Sowjetagenten Jewgeni Iwanow liiert war? Profumo arbeitet seitdem an einem Projekt für Arme im Londoner East End, Iwanow ist Anfang der Woche dem Suff erlegen.
Die ehemals gemeinsame Freundin der beiden hat sich jetzt zu Wort gemeldet und den Abdruck des Nacktfotos, das damals um die Welt ging, untersagt. Sie wolle mit der komischen Tory- Kampagne keinesfalls in Verbindung gebracht werden, ließ Keeler verlauten. Auch Sarah Keays, die ehemalige Sekretärin und Geliebte des ehemaligen Ministers Michael Parkinson (die gemeinsame Tochter ist jetzt zehn Jahre alt), gab ungefragt ihren Senf zu der Regierungsstrategie: Sie sei ein „kranker Witz, den eine heuchlerische Regierung ersonnen“ habe. Merken sie nicht, wie lächerlich es ist, fragte Keays, wenn sie sich im Parlament gegenseitig als „ehrenwert“ titulieren?
Doch das war nur der Auftakt zu einem Rundumschlag: Keays geißelte geheime Parteispenden, den Verkauf von Sozialbauwohnungen für Wahlstimmen und den Tory- Plan, ledige Mütter zu „Sündenböcken für alles“ zu machen.
Vor allem sind sie an der steigenden Kriminalitätsrate in Großbritannien schuld, wenn man dem erzreaktionären Innenminister Michael Howard glauben wollte. Der behauptet nämlich, daß die Kriminalität ihre Wurzeln im Zweiten Weltkrieg habe. Die Elterngeneration der sechziger Jahre sei laut Minister in Familien aufgewachsen, wo die Väter wegen des Krieges in vielen Fällen jahrelang abwesend waren. „Das hatte großen Einfluß auf den Respekt vor Autorität und den Sinn für Disziplin“, fachsimpelte Howard.
Er stützte seine Erkenntnis auf eine „sorgfältige, maßgebende und beachtliche Untersuchung“, die in Wahrheit freilich nicht nur schlampig recherchiert, sondern darüber hinaus auch willkürlich zurechtgezimmert ist. Das Papier beruft sich auf eine Broschüre des rechten „Instituts für wirtschaftliche Angelegenheiten“, das sich ganz offensichtlich bei anderen Untersuchungen bedient hat – aber nur Material zitiert, das in das rechte Weltbild paßt. Eine britische Untersuchung, die den Zusammenhang zwischen elterlicher Aufsicht und Jugendkriminalität erforscht hat, war 1985 vom Innenministerium – dem Howard nun vorsteht – in Auftrag gegeben worden. Dennoch erwähnte der Minister diese Studie mit keinem Wort – vielleicht deshalb, weil sie zu dem Ergebnis kam, daß zwischen Familien mit alleinerziehendem Elternteil und Kriminalität nicht der geringste Zusammenhang bestehe.
Howard ignoriert die Heiterkeit, die seine „Kriegskinder-Theorie“ unter Experten ausgelöst hat. Harry Fletcher vom Verband der Bewährungshelfer sagte: „Howards Argument ist auch schon 1919 vorgebracht worden und war damals genauso blödsinnig. Im vergangenen Jahr haben die Tories noch Harold Wilson und seiner Politik in den sechziger Jahren die Schuld für die steigende Kriminalität gegeben. Jetzt sind sie schon bei Winston Churchill angelangt.“ Ralf Sotscheck
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