: „Lebenslänglich“
■ betr.: „Vorwärts in die 70er!“ (Bundesanwaltschaft will 26 Jahre für Christian Klar), taz vom 19.11. 97
Dem Kommentar von Gerd Rosenkranz, in dem dieser die Forderung der Bundesanwaltschaft nach 26 Jahren Haft für Christian Klar scharf kritisiert, kann inhaltlich nur voll zugestimmt werden. Allerdings kann man nicht von einer „Wiedereinführung der – faktisch abgeschafften – lebenslangen Freiheitsstrafe durch die Hintertür“ – so der Kommentar – sprechen. Weder ist die lebenslange Freiheitsstrafe de facto abgeschafft noch bräuchte sie erst wieder durch eine Hintertür eingeführt werden. [...] Die lebenslange Freiheitsstrafe, die fast ausschließlich für Mord verhängt wird (§ 211 StGB), wird in der Bundesrepublik durchschnittlich 21 Jahre lang vollstreckt. Damit liegt die Bundesrepublik an der europäischen Spitze.
Für manche bedeutet diese Strafform wirklich lebenslänglich: zirka jeder sechste Lebenslängliche stirbt im Gefängnis während des Strafvollzugs. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in mehrfachen Entscheidungen zu dieser extremen Strafform in Widersprüche verwickelt. Zum einen fordert es, daß dem Lebenslänglichen grundsätzlich eine Möglichkeit der Wiedererlangung der Freiheit bleiben müsse, andererseits könne diese Strafe aber auch bedeuten, daß sie im Einzelfall real lebenslänglich vollstreckt wird. Andernfalls würde diese Strafform entwertet, meint das BVerfG. Die Einführung des § 57 a in das StGB, dem gemäß nach frühestens 15 Jahren Haft eine Strafrestaussetzung auf Bewährung gewährt werden kann, wenn keine „besondere Schwere der Schuld“ vorliegt und jede künftige „Gefährlichkeit“ des Täters gutachterlich ausgeschlossen ist, hat keine Humanisierung der lebenslangen Freiheitsstrafe – wie erwartet wurde – mit sich gebracht. Vielmehr haben die durchschnittlichen Vollstreckungsdauern im Vergleich zur zuvor praktizierten Gnadenpraxis zugenommen. Die Strafvollstreckungskammern entscheiden nach willkürlichen Kriterien und regional unterschiedlichen Gepflogenheiten über die der „Schuldschwere“ angemessene Mindestverbüßungsdauer. Da gibt es dann schon mal Vollstreckungskammern, die 50 oder 40 Jahre für „schuldangemessen“ halten! Vollstreckungen über 25 Jahre hinaus sind keinerlei Seltenheit. Das Zermürbende für die Betroffenen, die diese Strafform oft als Todesstrafe auf Raten beschreiben, ist die völlige Unberechenbarkeit der Straflänge und die damit verbundene Perspektivlosigkeit.
Die lebenslange Freiheitsstrafe verstößt aus vielen Gründen gegen die Menschenwürde. Deshalb hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Petition gegen diese Strafform auf den Weg gebracht, die der Bundestag unter Bemühung der althergebrachten wissenschaftlich unhaltbaren Begründung abgeschmettert hat. Der öffentliche Druck auf die Politik für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe muß verstärkt werden, auch wenn gegenwärtig Strafverschärfungen als Allheilmittel das Wort geredet wird. Martin Singe, Projektgruppe
„Wider die lebenslange Frei-
heitsstrafe“ des Komitees für
Grundrechte und Demokratie,
Bismarckstr. 40, 50672 Köln
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